Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Nakata!
Bennosuke holte sein Pferd, und Kumagai führte ihn durch den Kontrollpunkt, der die Samurai, die sich aufs Reitertreffen vorbereiteten, von allen anderen abschirmte. Wiederum hielt der Junge den Atem an, er war sich sicher, dass er mit entblößtem Gesicht erkannt werden würde, doch die dortigen Wachen der Nakata achteten nur auf Kumagai. Sie tauschten Höflichkeiten mit ihm aus, lächelten Bennosuke dann zu und wünschten ihm viel Glück. Seine Nackenmuskeln entspannten sich langsam wieder, und das Damoklesschwert, das er schon über sich hatte schweben sehen, löste sich in Luft auf.
Kumagai wirkte freundlich und plauderte frank und frei mit ihm über dies und das. Bennosuke schätzte ihn auf Anfang dreißig, sein Gesicht war faltenlos, sein Haar noch nirgends angegraut. Seine Nase war nach einem Bruch ein wenig schief wieder zusammengewachsen. So klein und schlank er auch war, wirkte er doch alles andere als zierlich und schritt kräftig und selbstbewusst einher.
Er nannte keinen Grund, weshalb er dem Jungen erlaubt hatte, sich ihm anzuschließen, aber warum hätte er auch? Das hier war für ihn nur eine nachmittägliche Sportveranstaltung und die Entscheidung weiter nichts als eine harmlose Geste der Freundlichkeit einem impulsiven jungen Narren gegenüber.
«Du heißt also Miyamoto?», fragte er. «Ist das eine Familie von Reitern?»
«Nein, eigentlich nicht», erwiderte der Junge.
«Ich kann nicht behaupten, dass ich deinen Vater kennen würde.»
«Ich habe ihn auch nicht allzu gut gekannt. Er ist in Korea gefallen. Mein Onkel auch.»
«Beim ersten Feldzug?», fragte Kumagai, und der Junge nickte. «Aha, ich verstehe. Ich war vergangenen Sommer auch drüben. Das war schon schlimm genug. Weißt du, was eine Hwacha ist?»
«Nein.»
«Eine Teufelsmaschine, wie gemacht für Feiglinge», erklärte Kumagai. «Und deshalb haben die Koreaner sie natürlich eingesetzt. Sie schießt mit Schwarzpulver, wie die europäischen Musketen, oder eher wie Feuerwerksraketen, aber … Es ist etwas anderes. Stell dir einen Handkarren mit einer Kiste drauf vor, mit zweihundert Löchern drin, und in jedem dieser Löcher steckt ein Pfeil oder eine Rakete – oder beides. Keine Ahnung. Die zünden das irgendwie, und dann werden auf einen Schlag zweihundert Pfeile abgefeuert, kreischend wie Falken und schnell wie der Blitz. Es ist wie ein Regen aus der Hölle, der auf ein kleines Stück Land niedergeht. Das hat uns in Stücke gehauen. Hat fast fünfzig der Männer ausgelöscht, mit denen ich aufmarschiert war – einfach so. Hat wieder und wieder unsere Formationen zerfetzt.»
«Wie oft hattet Ihr damit zu tun?», fragte Bennosuke.
«Oft genug.»
«Und Ihr seid trotzdem weiter vorgerückt?»
«Was hätten wir denn sonst tun sollen?», erwiderte der Samurai und lachte. «Wer sind wir denn? Scheiß-Chinesen?»
Die übrigen Ukita-Männer empfingen Bennosuke gleichmütig. Es waren fast dreißig Mann, die sich um ein großes Banner in Ukitas Farben geschart hatten. Sie sattelten ihre Pferde, schnallten sich die Rüstungen fest, beäugten die Gruppen der anderen Samurai, versuchten einzuschätzen, wer ihnen gefährlich werden konnte. Kumagai erklärte kurz, wer der Junge war, worauf die Männer desinteressiert nickten und sich wieder abwandten.
«Jetzt leg deine Rüstung an. In einer Stunde musst du fertig sein», sagte Kumagai. Bennosuke erwiderte nichts. «Du hast doch eine Rüstung dabei, oder? Und ein Banner?»
«Nein», gestand Bennosuke.
Kumagai lachte. «Wie willst du unserem Fürsten Ukita denn Ehre einbringen, wenn du nicht seine Farben trägst, Junge? Ehrlich – du hast ein Herz aus Gold, aber mit deinem Kopf stimmt was nicht.»
Kumagai holte ein kräftiges Untergewand und einen alten Brustharnisch herbei und warf Bennosuke beides hin. Dann drückte er dem Jungen ein Banner in den Farben Ukitas in die Hände. Immer noch lächelnd, ließ er Bennosuke bei seinen Männern zurück und ging wieder zu seinem Posten bei der Anmeldung.
Das Untergewand war aus grobem Stoff und stank nach Schweiß und Gras. Der Brustharnisch war noch schlimmer. Er passte zu seinem Helm, war also ein schäbiges altes Ding, kaum mehr als eine dick gepolsterte Jacke. Er war ihm zu klein, zwickte an den Schultern und drückte am Oberbauch. Bennosuke fühlte sich darin eingezwängt. Ein anderer Mann half ihm, das Banner am Rücken anzubringen. Es ragte mannshoch über ihm empor. Das rechteckige Tuch wurde von einem Rahmen aufgespannt.
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