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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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Gatten nicht zugegen waren, gern auch auf sein gutes Aussehen zu sprechen. Bald begab es sich, dass Munisai bei einem Holzschwertduell einen hochrangigen Leibwächter Fürst Shinmens besiegte. Für einen so jungen Mann war das eine reife Leistung, und er konnte, als er im Hof ihres Hauses vor ihr stand und ihr davon erzählte, seinen Stolz nicht verhehlen. Sein Besuch war unangekündigt und fand unter dem verwirrten Blick ihrer Mutter statt, die die beiden beaufsichtigte. Ehe Yoshiko fragen konnte, warum er gekommen sei, sagte er lächelnd: «Ich wollte, dass du davon erfährst.»
    Ab da besuchte er sie immer häufiger, bis sie beinahe jeden zweiten Tag durch die Straßen der Stadt spazierten. Um kein Aufsehen zu erregen, sahen sie einander nie in die Augen und sprachen laut nur von belanglosen Dingen, doch heimlich strich sie oft mit dem Handrücken über die Knöchel seiner Finger, die stets auf seiner Schwertscheide ruhten, und diese Berührungen raubten ihr förmlich die Sinne.
    Von den Fingerknöcheln gingen sie über zu den Handflächen, von den Straßen wichen sie aus auf geheime Verstecke. Dann kam der Tag, an dem sie ihm ihre Gefühle gestand. Es war in einem Bambushain, und später erinnerte sie sich vor allem an das leuchtende Smaragdgrün und die tiefe Stille inmitten der Bambusstämme. Sie hatten die Hände ineinandergeschlungen, und ihre Brust war so fest an seine gepresst, dass sie seinen Herzschlag spüren konnte.
    Sie reckte den Mund zu seinem Ohr empor, roch sein Haar, zögerte kurz und flüsterte dann das Innigste, das ihr einfiel: «Wenn ich dich nicht haben kann, Munisai, schlitze ich mir die Kehle auf.»
    Es war ein Moment der Entblößung, in dem sie sicher war, dass er sie zurückweisen würde, doch er erbebte, und dann streiften die Haare seines Schnurrbarts ihr Ohr.
    «Dann lass uns gemeinsam sterben», flüsterte er.
    Sie war den Tränen nah. Etwas Vollkommeneres hätte er nicht sagen können. Bei einem gemeinsamen Freitod würden sie die Welt zusammen verlassen, auf dass ihre Geister als Zwillinge wiedergeboren würden – in alle Ewigkeit miteinander vereint. Und sie weinte auch tatsächlich, und Munisai hielt sie in den Armen, bis ihre Tränen versiegten, und die Welt war schön.
    Doch wie sich herausstellte, war es gar nicht nötig, sich zu töten. Trotz seiner Dreistigkeit sah man in Munisai einen Mann, dessen Stern im Steigen begriffen war, und daher willigte Yoshikos Vater in die Heirat ein und schritt bei ihrem Brautzug hinter ihnen einher. Ein halbes Jahr später, im ersten Winter, nachdem sie aus seinem Haus in der Stadt nach Miyamoto gezogen war, erlag er binnen Wochen einer schweren Krankheit, und Yoshikos Mutter folgte ihm bald nach. Sie aß nichts mehr, welkte dahin, starb.
    Man meißelte ihre Namen in den Familiengrabstein, und Yoshiko trauerte zwar um sie, war aber nicht verzweifelt, denn sie war ja nicht allein. Sie hatte Munisai, und das genügte ihr.
    Wen aber hatte Munisai? Er war erstaunt, als er sich das erste Mal dabei ertappte, wie er ganz leidenschaftslos über diese Frage nachdachte, die Liebe begutachtend wie ein Rabe einen Kadaver. Damals in jenem Bambushain hatte er sie geliebt, da war er sicher, um ihrer selbst willen, mit einer schlichten, reinen Liebe, die sie erwiderte.
    Doch die Zeit verging. Was empfand er jetzt, da sie verheiratet waren und er sich ihre Zuneigung gesichert hatte? Er betrachtete sie, wenn sie schlief, die weiße Hand auf dem Kissen neben ihrem Gesicht, und stellte fest, dass sein Herz davon nicht mehr schneller schlug. Ihm wurde klar, dass er sie womöglich doch nicht um ihrer selbst willen gewollt hatte, sondern weil er mit ihr etwas bekam, das andere Männer begehrten.
    Und zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass ihm das gefiel.
    Ein rücksichtsloser Freiheitsdrang wuchs in ihm heran. Die Götter liebten ihn, das wusste er. Er sah gut aus, war jung und ein überaus begabter Schwertkämpfer. Neben dem Vermögen seiner Familie verfügte er nun auch noch über das Erbe von Yoshikos Eltern. Mit noch nicht einmal fünfundzwanzig Jahren gebot er über all das – warum also nicht noch mehr haben wollen? Eine Rüstung mit seinem aufgestickten Namen. Mehr Sake. Mehr köstliche Speisen. Mehr Würfelspiel.
    Mehr Frauen, einfach nur, weil er jung war und im Saft stand.
    Als er das erste Mal ins heimische Schlafzimmer getorkelt kam und noch nach den Umarmungen einer Prostituierten roch, fand er Yoshiko auf Knien vor. Sie hatte auf ihn gewartet.

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