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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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wäre? Greif mich an.»
    Bennosukes Hand fuhr instinktiv zu dem Kurzschwert an seiner Seite. Das Zimmer schien mit einem Mal zu schrumpfen, der Groll presste ihm die Kehle zu. Je mehr seine Fassungslosigkeit schwand, desto lauter meldeten sich Hass und Wut.
    Also war Munisai der Grund, weshalb er all die Jahre zu einem Leben in Einsamkeit, Verbannung, Demütigung verurteilt gewesen war; Munisai – nicht irgendeine Hautkrankheit! Allmählich ging dem Jungen alles auf. Er hatte die Leute reden hören, aber jetzt
verstand
er sie. Und nun saß dieser Mann vor ihm, blickte ihn verächtlich an, scheinheilig, als trüge er überhaupt keine Schuld daran. Bennosukes Hand schloss sich um den Griff des Schwerts, was Munisai zu einem schlangenhaften Grinsen veranlasste.
    «Nein», sagte Dorinbo und kam wieder ein wenig zur Besinnung – aber nur ein wenig, denn dann stammelte er die ersten Worte, die ihm durch den Kopf gingen: «Das dürft ihr nicht. Das hier ist heiliger Grund.»
    «Stimmt», sagte Munisai, und ehe Dorinbo ihn zurückhalten konnte, hatte er sich erhoben und die Schwerter in den Gürtel gesteckt. «Komm, Junge.»
    Mit der unversehrten Hand packte er Bennosuke am Hals und schob ihn aus der Hütte in die Nacht hinaus. Auf Armeslänge trieb er ihn den Hang hinab zu dem Tor vor sich her, das die Grenze zwischen dem Reich der Amaterasu und der Welt der Sterblichen markierte, in der Hass und menschliche Schwächen gestattet und allgegenwärtig waren.
    Dorinbo folgte ihnen in seinem flatternden schwarzen Gewand, während er an Munisais Arm zerrte und seinen Bruder anschrie, er solle aufhören. Doch der Samurai, kräftiger als der Mönch und der Junge, beachtete ihn gar nicht. So waren Dorinbo und Bennosuke dazu gezwungen, dorthin zu gehen, wohin es dem Samurai beliebte. Der Junge schritt strauchelnd rückwärts, ohne Widerstand zu leisten, sein Blick wie gefesselt an Munisais Augen.
    «Ist dein Herz schwach, du Bastard?», knurrte der Samurai. «Stockt es von dem dreckigen Blut deines Bauernvaters? Des Mannes, den ich abgeschlachtet habe wie das Stück Vieh, das er im Grunde war? Zieh dein Schwert und greif an!»
    Bennosuke hätte es sehr gern getan. Er wollte die Klinge ziehen und auf den Samurai einschlagen, jeder Hieb befreiend und von Herzen. Eine See blinder Gefühle breitete sich vor ihm aus, und die Versuchung war groß, sich hineinzustürzen, ganz in Vergeltung und Blutgier aufzugehen. Doch etwas hielt ihn zurück.
    Sie passierten das Tor. Auf weltlichem Boden angelangt, ließ Munisai den Jungen los und stieß ihn von sich. Dann stand der Samurai da, streckte den unversehrten Arm weit von seinen Schwertern fort, reckte die Brust heraus und bot dem Jungen förmlich sein Herz dar, wobei die nutzlose Linke, die in der Schlinge fest vor den Oberkörper gebunden war, ein leichtes Ziel abgab.
    «Greif mich an!», rief er.
    «Munisai, lass den Irrsinn! Und Bennosuke, du gehst jetzt nach Hause!» Dorinbo versuchte, sich zwischen sie zu stellen.
    «Schlag zu!», stichelte Munisai weiter, seinen Bruder nicht beachtend. «Töte mich!»
    Bennosuke sah förmlich, wie Munisais Herzschlag in seiner Hand pulsierte, die ungeschützt vor ihm hing. Doch er konnte einfach nicht angreifen. Er wusste, er sollte es tun, es wäre nur recht und billig, aber … Unter der Wut regte sich wieder sein Verstand.
    Er sah die beiden Schwerter an Munisais Taille, darüber schwebend seine unversehrte rechte Hand.
    Bennosuke wusste selbst wenig über Stolz, hatte aber genug Geschichten gelesen, um zu wissen, welche Macht er auf manche Männer ausübte. Munisais prachtvolle Rüstung, die er all die Jahre gepflegt hatte, war die Rüstung so eines Mannes. Was bedeutete ihm schon ein Bauernbastard, die Verkörperung seiner ehelichen Schmach? Bennosuke dachte daran, mit welcher Leichtigkeit Munisai ihn im Dojo besiegt hatte, und dann begriff er.
    Munisai stachelte ihn zum Angriff an, damit er einen Vorwand hatte, ihn zu töten und sich so von der Schmach zu befreien.
    «Willst du deine Mutter rächen?», kam es von Munisai. «Dann töte mich!»
    Der Sporn saß, und Bennosuke spannte sich unwillkürlich an. Das Kurzschwert an seiner Seite schien laut nach ihm zu rufen. Seine Mutter, von der er sich nicht hatte verabschieden können und deren Todesumstände man ihm verheimlicht hatte … Er dachte an die wenigen Erinnerungen, die er an sie hatte, hörte den fernen Widerhall ihrer Stimme, wenn sie ihm Lieder vorsummte, oder wie sie gelacht und ihn

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