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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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Ihr Blick löste bei ihm eine seltene, kurze Aufwallung der Reue aus.
    «Warum?», fragte sie einfach nur.
    «Weil ich es kann», sagte er mit einem Achselzucken und ging zu Bett.
    In dieser Nacht spürte er das Bett beben unter den Schluchzern, die sich ihr entrangen, während sie leise weinend hinter ihm lag. Doch er war zu betrunken, um Mitleid zu empfinden.
    Yoshiko verzieh ihm am nächsten Morgen, sagte ihm aber nichts davon. Sie redete sich selbst ein, es sei ein einmaliger Moment der Schwäche gewesen, und wenn es nie wieder vorkäme, sei es auch nie geschehen. An diese Hoffnung klammerte sie sich, aber natürlich vergeblich; er zog wieder los und folgte seinen Gelüsten. Wieder und wieder tat er es, und sie bat ihn nie, damit aufzuhören – denn das sah sie nicht ein.
    Vielmehr gingen ihr irgendwann die Tränen aus, und Abgestumpftheit machte sich in ihr breit, die ihr oft jedes Zeitgefühl raubte. In diesen Monaten schlug die innere Leere in Verachtung um, vor allem, weil Munisai all das nicht etwa aus böser Absicht tat. Er verhöhnte sie nicht und prahlte nicht mit seinen Eroberungen, um ihr einen hysterischen, letztendlich aber heilenden Wutanfall zu entlocken. Nein, er tat es einfach so und erwartete, dass es ihr als guter Ehefrau ebenso wenig bedeutete wie ihm.
    In ihrer Erinnerung verwandelte sich das prachtvolle Smaragdgrün des Bambushains in scheußliche Fäule.
    Ihre Lage schien aussichtslos. Sie hätte eine Scheidung anstrengen können, das wusste sie, aber wohin hätte sie gehen sollen – ohne Eltern, zu denen sie hätte heimkehren können? Ein Leben in großem Komfort hatte dazu geführt, dass sie über keine nennenswerten Fertigkeiten verfügte, und daher wäre ihr nur die Wahl geblieben, sich den Kopf zu scheren und ins Kloster zu gehen oder sich ebenfalls als Liebesdienerin zu verdingen. Sie saß in der Falle, gefangen in erbärmlicher, vollkommener Einsamkeit – doch dann vernahm sie eines Nachts im Schlaf die Stimme ihres Vaters.
    Mitleid war ihm nicht anzuhören; er ermahnte sie, daran zu denken, was er sie in ihrer Kindheit gelehrt hatte. Was sind deine Eltern gewesen, was deine Vorfahren?, fragte er sie und wiederholte die Frage auch in den folgenden Nächten.
    Die Antwort lautete: Samurai. Und da kam Selbstmitleid nicht in Frage. Nein. Eine Beleidigung des Clans, der Familie oder der eigenen Person war unverzeihlich und konnte nur eines zur Folge haben:
    Vergeltung.
    Wozu sonst waren Männer und Frauen auf der Welt, als ihr Leben voll und ganz einer Sache zu widmen? Und wie ähnlich Vergeltung und Liebe doch waren – beide entstanden aus Hingabe und Besessenheit. Wo die Liebe jedoch einem formlosen Nebel ohne Ende glich, nahm die Vergeltung die gleichen Gefühlsregungen, ballte sie zusammen und leitete sie zu einem wunderbaren Höhepunkt.
    Die Aussicht auf dieses Ende, diesen einen Moment des Triumphs und der Wiedergutmachung, machte es erstrebenswerter, das Leben der Vergeltung zu widmen als der Liebe, sagte Yoshiko sich.
    In einer bitterkalten Nacht, in der Stunde des Ochsen, setzte sie sich eine Kerzenkrone auf und machte sich barfuß und Beschwörungen murmelnd auf den Weg zu einem Schrein im nächsten Ort. Bei sich trug sie einen Stroh-Phallus, den sie dort an einen Baum zu nageln gedachte, um den Geistern und ihren Ahnen ihre Absichten kundzutun.
    Dann jedoch zögerte sie, Hammer und Nagel schon in den Händen. Munisai leuchtete immer noch in ihrer Erinnerung. Vielleicht … Doch dann verschloss sie ihr Herz vor ihm, nagelte den Fetisch fest und löschte die Kerzen, die sie immer noch auf dem Kopf trug, an dem Baumstamm.
    In den nun folgenden drei Nächten saß Yoshiko neben dem schlafenden Munisai im Bett, in der Hand den Dolch, den ihre Mutter ihr vermacht hatte. Sie starrte ihren Mann an und dachte daran, wie viele andere Frauen von ihm das bekommen hatten, was ihr allein zustand. Doch sie zog die Klinge nicht aus der Scheide. Dass nur sein Leib sterben würde, war nicht genug. Er musste es einsehen, musste sich ebenso gepeinigt fühlen wie sie. Wie konnte sie das bewerkstelligen?
    Sie ging im Haus auf und ab, bis sie irgendwann vor der Rüstung mit seinem Namen stehen blieb.
    Denkichi war ein Drescher, ein schlaksiger Mann mit kalten, schwieligen Händen. Unter den Bauern von Miyamoto war er der größte, und vielleicht war es seine hochaufragende Gestalt, die Yoshiko auf ihn aufmerksam werden ließ. Vielleicht aber auch nicht, ganz egal, jeder dieser Bauern hätte

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