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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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grimmig dreinblickte.
    «Da siehst du mal, wie tückisch die Ritterlichkeit der Samurai ist. Ich bin erstaunt, dass Munisai es so schnell geschafft hat, dir das einzutrichtern», sagte der Mönch. «Männer halten sich für tapfer, weil sie andere retten – aber nur die, die zufällig den gleichen Namen tragen. Sollen alle anderen doch verbrennen, denn unter den Abermillionen Wesen auf dieser Welt sind einzig diejenigen es wert, dass du dich um sie kümmerst, die durch etwas so Zufälliges wie Blutsverwandtschaft mit dir verbunden sind.»
    «Aber du bist doch gar nicht mein Blutsverwandter», entgegnete Bennosuke kühl. Er bereute es sofort.
    Die bittere Miene, mit der Dorinbo gerade gesprochen hatte, verschwand augenblicklich, und ein Ausdruck tiefer Gekränktheit trat an ihre Stelle. Der Mönch wandte sich ab und widmete sich wieder seiner Arbeit.
    Bennosuke sah ihm zu. Er war wütend und beschämt, Tränen brannten ihm in den Augen. Sehr gern hätte er dem Mönch erklärt, dass er nicht aus einer bewussten Entscheidung heraus angegriffen hatte, sondern rein instinktiv, dass er viel zu verängstigt gewesen war, um gegen Arima zu kämpfen, bis die Demütigung seines Onkels jeden Gedanken außer «Töte ihn» aus seinem Hirn verbannt hatte. Doch er brachte die Worte nicht über die Lippen. Es war immer noch besser, als böse oder herzlos zu gelten, denn als Feigling oder gewissenlose Bestie.
    «Es tut mir leid», sagte der Junge schließlich. Das war alles, was er sich gestattete.
    «Du musst dich nicht entschuldigen, Bennosuke», erwiderte der Mönch und sah kurz mit einem traurigen Lächeln von seiner Arbeit auf. «Ich hatte gedacht, ich könnte dich vielleicht auf den Pfad der Gelehrsamkeit führen, auf dass du anstrebst, die Welt zu bessern, statt zu zerschmettern, aber … Blutsbande sind tatsächlich ein Werk des Zufalls, nicht wahr? So oder so, du bist Munisais Sohn – ein geborener Samurai.»
    «Ich habe versagt», waren die Worte, die er nicht aussprach, die Bennosuke aber im ausdruckslosen Blick seiner Augen las und im tonlosen Klang seiner Stimme vernahm. Der Junge ertrug es nicht, diese Enttäuschung zu sehen, daher senkte er den Kopf und machte sich wieder ans Flechten. Als er seine Augen wieder trocken glaubte und ohne Beklemmung in der Brust atmen konnte, fand er auch wieder Worte.
    «Warum kann ich nicht beides zugleich sein?», fragte er.
    «Beides zugleich?»
    «Ein Samurai und ein Gelehrter.»
    «Das schließt sich gegenseitig aus. Was glaubst du, warum die Samurai es für eine Strafe halten, sich den Kopf zu scheren und ein Mönchsgelübde abzulegen?»
    «Ich weiß nicht, aber … warum kann ein Samurai seine Stärke nicht auch dazu nutzen, nach Erleuchtung zu streben?»
    «Das wäre, als wollte man mit einer lodernden Fackel in der Hand die Dunkelheit ergründen – das eine macht das andere zunichte. Zum Nachdenken braucht man große innere Ruhe. Zum Kämpfen etwas ganz anderes.»
    «Das sehe ich nicht so. Es gibt doch einen Moment zwischen Tag und Nacht, der gleichermaßen beides ist, nicht wahr? Warum kann ein Mensch nicht auch so sein?»
    «Weil Menschen nun mal nicht so sind, Bennosuke. Traurig, aber wahr», sagte Dorinbo und seufzte erneut.
    «Nein, du irrst. So ein Mensch will ich eines Tages sein.»
    «Tatsächlich», erwiderte sein Onkel tonlos.
    Anschließend klaffte in seinen Erinnerungen wieder eine Lücke, in der auch die ganze nächste Nacht verschwand.
    Nun saß er hier und spielte mit dem Grashalm, als wäre er wieder ein kleiner Junge. Munisai hatte ihn endlich zu sich gerufen, und er konnte es nicht länger aufschieben. Bennosuke warf den Halm fort und erhob sich. Auf dem Weg durchs Dorf spürte er die ängstlichen Blicke der Bauern im Rücken. Er schenkte ihnen keine Beachtung.

    «Ich nehme an», begann Munisai, «dir ist klar, dass Arima nicht wirklich ein Schwertheiliger war?»
    «Ja, Herr», antwortete Bennosuke.
    Munisai kniete auf einem Kissen, vor sich einen Topf mit siedendem Wasser. Zwar saß er in formeller Haltung, die Hauptlast des Körpers auf den Waden, ließ aber die Luft des Nachmittags an seine Wunde. So entblößt bot sie einen scheußlichen Anblick, außerdem ging ein leichter Verwesungsgeruch von ihr aus. Während er sprach, ballte der Samurai immer wieder die linke Faust, und obwohl Bennosuke in höflicher Entfernung von ihm saß, entging ihm nicht, wie schwach sie wirkte.
    «Woran hast du das erkannt?», fragte Munisai.
    «Nachdem ich seinen stärksten

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