Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
ergehen. Er wusste noch, wie überwältigt er selbst gewesen und wie mächtig seine Brust geschwollen war, als man ihm damals dieses Langschwert überreicht hatte.
«Erhebe dich, Bennosuke Shinmen», sagte Munisai in gemessenem Ton, und der Junge tat wie geheißen. Als er wieder kniete, nickte Munisai ihm zu.
«Ein Schwert mag nur ein Werkzeug sein, ein Name aber ist mehr. Du trägst meinen Namen und bist jetzt ein Mann. Du musst dich entsprechend verhalten. Hast du das verstanden?» Dann zog der Samurai eine Schriftrolle hervor, die mit seinem persönlichen Wappen versiegelt war, und hielt sie dem Jungen hin. «Hiermit erkenne ich dich in aller Form als meinen Sohn an, bestätige, dass du von nun an ein Erwachsener und befähigt bist, in den Dienst genommen zu werden.»
Bennosuke zögerte. Das Schwert hatte er, ohne nachzudenken, entgegengenommen, denn davon hatte er geträumt, solange er zurückdenken konnte. Wenn er aber dieses Dokument annahm, erkannte er damit Munisai in aller Form als seinen Vater an. Er dachte an die blinde Wut der vergangenen Monate, an seine Phantasien, diesen Mann eines Tages zu töten.
Vielleicht erahnte Munisai die Gedanken des Jungen. Er drängte Bennosuke das Dokument nicht auf, hielt es ihm nur mit ruhiger Hand hin und wartete, ob er es nahm. Wieder forderte der Samurai ihn heraus, doch in seinem Blick bemerkte Bennosuke noch etwas anderes. Statt des üblichen Hohns über seine Schwäche und sein Versagen zeigte sich darin der Wunsch, er möge siegreich sein. Zum ersten Mal sah Munisai ihn wie einen Menschen an.
Er dachte an Yoshiko und an seinen Bauernvater, dessen Namen er nie erfahren würde. Doch als er nun ihrem Mörder in die Augen sah, konnte er nicht bestreiten, dass dessen Anerkennung ihn mit Stolz erfüllte. Das ewige Bangen vor der Rüstung, all die Zweifel seiner Jugend – endlich war Schluss damit.
Nun bot sich ihm die Gelegenheit zu einer großen dramatischen Geste: Er hätte ausspucken, fluchen und das Papier fortschleudern können, doch er wusste, dass er das nicht tun würde, denn das wäre weiter nichts als Affentheater gewesen. In den Monaten, seit er die Wahrheit erfahren hatte, hatte sich vor allem die Frage in ihm festgesetzt, die Dorinbo ihm gleich nach dem belauschten Gespräch gestellt hatte: Hatte er seine Mutter denn überhaupt richtig gekannt? Wem schuldete er Loyalität? Einer Ausgeburt seiner Phantasie?
Doch die Schuldgefühle blieben, und Munisai sah ihm die Unentschlossenheit an. Nach einer Weile sagte er so leise, dass, selbst wenn noch jemand zugegen gewesen wäre, nur sie beide es verstanden hätten.
«Glaubst du etwa, die Welt ist perfekt, Junge? Glaubst du, ich habe mir gewünscht, dass alles so kommt? Man muss das Leben nehmen, wie es eben ist. Lass deine reinen Hoffnungen fahren und ertrage, was du ertragen kannst. Mehr kann keiner von uns tun.»
Auch wenn er in jenem Moment selbst nicht recht verstand, warum, griff Bennosuke nach dem Schreiben und nahm es mit tiefer Verneigung aus Munisais Händen entgegen. Erst in späteren Jahren verstand er, dass Munisai wahrscheinlich recht gehabt hatte. Sie waren beide alles andere als vollkommen, jedem von ihnen fehlte etwas im Inneren, und diese Leere füllten sie im jeweils anderen zumindest ansatzweise aus. Sie waren nicht Vater und Sohn und waren es doch. Es war zu trostlos, allein zu sein, daher blieb ihnen nichts anderes übrig, denn sich als gebrochene Wesen, als Menschen aneinanderzuklammern.
«Gut», sagte Munisai mit einem Nicken, und einen Moment lang wurde sein Gesicht von einem seltenen Lächeln erhellt. «Gut. Also: Du kannst jetzt nicht mehr hier in Miyamoto bleiben und Gebete flechten. Der Himmel ist blau, Wasser ist nass, und ein Samurai dient. Es wird Zeit, dass du das lernst. Gehe in die Stadt Aramaki und melde dich dort bei Hauptmann Tomodzuna. Er ist ein guter Mann, ich selbst habe ihn ausgebildet, und ich vertraue ihm und allen, die ihm unterstehen. Du wirst ihm gemeinsam mit diesen Männern dienen.»
«Und was werde ich tun?», fragte Bennosuke.
«Was auch immer er von dir verlangt. Höre auf ihn. Lerne von ihm. Melde dich bei ihm, bei keinem anderen, und denk dran: Er kennt mich und weiß, dass du mein Sohn bist. Blamier dich nicht und mach mir keine Schande.»
«Und was ist mit dir, Herr?»
«Ich werde in einigen Wochen dort zu dir stoßen. Bis dahin gibt es noch eine Sache, um die ich mich kümmern muss. Ein Geheimbefehl unseres Herrn, Fürst Shinmen», sagte
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