Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
als einem leeren Magen litt, beachtete sie nicht.
«Wenn Ihr wisst, wer mein Herr ist, wisst Ihr auch, dass Ihr mich rauslassen müsst», sagte er zu dem Leutnant, und so gern dieser es bestritten hätte, war ihm doch klar, dass dem tatsächlich so war.
Nach kurzem Schweigen zog er einen Schlüsselbund hervor und begann, daran herumzusuchen.
«Meint Ihr, das da oben könntet auch Ihr sein?», fragte er und wies, während er langsam einen Schlüssel nach dem anderen betrachtete, mit einem Nicken auf die beiden Köpfe über dem Tor. «Mit solcher Würde? Es gibt noch einen anderen Ort, wisst Ihr, wo sie die Wilden hinschicken, die Diebe, Brandstifter, Frauenschläger. Und die werden da nicht so respektvoll behandelt. Da haben sie Peitschen und Nägel und rot glühende Eisen, und wenn Ihr nicht aufpasst, mein Lieber, ganz egal, wer Eure Freunde sind …»
«Werdet Ihr jetzt mal das Maul halten und den Schlüssel finden, verdammter alter Narr?», schnauzte der Gefangene. «Ich muss hier raus!»
Die Hand des Leutnants erstarrte. Er warf dem Gefangenen einen finsteren Blick zu und ließ das Schlüsselbund dann wie versehentlich zu Boden fallen. «So was aber auch. Ich scheine den Schlüssel verlegt zu haben», sagte er, kratzte sich theatralisch am Kopf, ging zu einer Zisterne und schöpfte sich einen Becher Wasser. «Na, vielleicht klärt ein kühler Trunk meinen Sinn, damit mir wieder einfällt, wo ich ihn gelassen habe, hm?»
Er nahm einen provozierend kleinen Schluck und ließ den Gefangenen dabei nicht aus den Augen. Die Hände des Mannes packten die Gitterstäbe fester, seine Lippen spannten sich. Im Stillen zählte der Leutnant zwanzig Herzschläge ab und trank dann noch einen winzigen Schluck.
Der Gefangene verstand. Er setzte sich wieder hin und hielt den Mund. Weder war er ein Idiot noch von niedriger Geburt: Er war ein Samurai und trug, unter dem anhaftenden Schmutz und Sägemehl fast nicht mehr zu erkennen, ein prächtiges burgunderrotes Gewand.
Fast sofort nachdem er die Wache verlassen hatte, verwünschte sich Bennosuke für seine Dummheit und Schüchternheit. Das sollte ein großer Krieger sein, der sich von einem Gespräch, das nicht haargenau so verlief wie erwartet, so nervös machen ließ … Jetzt musste er bis morgen warten. Umzukehren und kleinlaut um ein Bett für die Nacht zu bitten, würde ihn nur noch schwächer erscheinen lassen, also musste er sich um eine andere Unterkunft bemühen.
Er wanderte umher, ebenso verloren wie zuvor. Gasthäuser gab es hier viele, doch die im Stadtzentrum und an der Handelsstraße waren viel zu teuer für seinen bescheidenen Beutel. Vor vielen Lokalen standen Männer, die ihm feinste Meeresfrüchte versprachen oder ein Bett, das hübsche Mädchen schon für ihn vorgewärmt hätten, oder Lieder, gespielt von meisterhaften Musikern. Keiner aber bot ihm einfach nur eine Strohmatte, ein Dach über dem Kopf und eine Schale Reis an.
Bennosuke wanderte immer weiter, und sein Mut sank mit jedem Schritt. Die Füße taten ihm weh, der harte Sandalenriemen grub sich in das weiche Fleisch zwischen den Zehen, und schließlich gab er auf. Seufzend blieb er stehen und sah sich mit niedergeschlagener Miene um, während die Leute sich an ihm vorbeidrängten und murrten, er stehe im Weg.
Hinter ihm befand sich eine Töpferei, ein kleiner, zur Straße hin offener Laden, in dem auf Truhen und Tischen Vasen und Schalen ausgestellt waren. Mittendrin saß der Töpfer selbst auf einer Strohmatte und bemalte gerade einen Teller. Er war ein alter Mann, hatte ein Stück Schnur um die Stirn gebunden, damit ihm das graue Haar nicht in die Augen fiel, und er leckte sich bei der Arbeit unablässig über die Lippen.
Bennosuke straffte die Schultern und reckte die Brust heraus, denn so elend er sich auch fühlte, wusste er doch, dass er wenigstens versuchen sollte, wie ein ganzer Mann aufzutreten. Dann stellte er sich auf die Türschwelle, hüstelte und sagte mit künstlich tiefer Stimme: «Darf ich kurz stören, Töpfermeister?»
«Was?», erwiderte der Töpfer gereizt und löste den Blick von dem Detail, das er eben malte. Die beiden Schwerter an Bennosukes Seite ließen ihn innehalten. «Oh … Ich bitte vielmals um Entschuldigung, junger Herr. Möchtet Ihr Kunde meiner bescheidenen Werkstatt werden?»
«Nein. Ich bin ein Samurai.» Bennosuke genoss die Reaktion des Mannes. «Wozu bräuchte ich einen Teller?»
«Um davon zu essen, Herr?»
Bennosuke errötete ein wenig, und seine
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