Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Schultern sanken in eine natürlichere Haltung herab. Mit seiner Großtuerei hatte er nun schon zweimal Schiffbruch erlitten – vielleicht sollte er es stattdessen doch einmal mit Bescheidenheit versuchen. Er befeuchtete sich die Lippen und fuhr in nicht mehr so aufgeblasenem Ton fort: «Das mag sein, aber ich suche eine preiswerte Unterkunft. Könntet Ihr mir da behilflich sein?»
«Wohin reist Ihr, Herr?», fragte der Mann und überlegte. «Westwärts oder in Richtung Kyoto?»
«Ich …», begann Bennosuke und wollte sich schon eine Lüge zurechtlegen, doch dann fiel ihm wieder ein, dass zur Bescheidenheit auch Ehrlichkeit gehörte. «Ich bleibe hier in der Stadt. Ich werde unter Hauptmann Tomodzuna dienen.»
«Oh. Dann seid Ihr ein Gefolgsmann von Fürst Shinmen?»
«Ja.»
«Ich habe unter dem alten Fürsten gedient, dem Vater des gegenwärtigen, aber das ist schon viele Jahre her.» Der Mann nickte, als wäre er ein alter Weiser. «Habe in zwei Schlachten mit dem Speer für ihn gekämpft, einmal im Gebirge, das andere Mal irgendwo im Osten. Drei Männer habe ich getötet, Herr.»
«Wie meint Ihr das?», fragte Bennosuke verwirrt. «Handwerker dürfen doch gar keine Waffen tragen.»
«Das war nicht immer so, Herr. Früher hat man ganze Heere von Handwerkern und Bauern aufgestellt, damit sie für die Fürsten fochten, bis man eines Tages fand, sie hätten nicht mehr das richtige Blut, um Speere zu führen. Ich wünschte, auf die Idee wären sie gekommen, bevor ich meinen Arsch für sie übers Höllenfeuer gehalten habe. Oder es wäre ihnen gar nicht erst eingefallen.»
«Wer sind ‹sie›?»
«Wer wohl? Die Regierung, die Samurai, Ihr wisst schon – Eure Leute. Hierarchie ist alles, nicht wahr, Herr? Über allem thront der Kaiser, für unsereinen gar nicht zu sehen, und wer kommt dann? Mein Los ist es, Euch Samurai zu dienen. Ihr wiederum dient Fürst Shinmen. Fürst Shinmen hat eine gewisse Macht, aber nicht allzu viel. Er dient den großen Fürsten, und über denen gibt es noch mal eine Handvoll Männer, für deren Macht es gar keine offizielle Bezeichnung gibt. Nennen wir sie die größeren Fürsten, und der uns nächste von ihnen ist Fürst Ukita. Und wem dient der?»
«Dem Regenten Hideyoshi Toyotomi», antwortete Bennosuke.
«In der Tat. Und als der an die Macht kam, hat er verfügt, dass nur noch Samurai Schwerter und Speere tragen dürfen.» Die Augen des Manns funkelten maliziös, und er beugte sich näher heran. «Und das ist ein interessanter Punkt.»
«Was?»
«Toyotomi war ein geborener Reisbauer. Was glaubt Ihr, warum er nie den Titel des Shogun angenommen hat? Es war ihm verboten! Er hat sich im Oda-Clan nach oben gekämpft, immer einen Rang nach dem anderen. Unterwegs hat er vergessen, wo er herkam, hat verhindert, dass irgendjemand es ihm nachmachen konnte – aber er hat seine Schwerter und sein Land natürlich behalten.» Der Mann lächelte, als er bemerkte, was für einen Ton er angeschlagen hatte. «Ihr müsst nicht glauben, dass ich verbittert wäre oder so etwas.»
«Das solltet Ihr auch nicht», erwiderte Bennosuke. «Ihr habt ja schließlich zugelassen, dass man Euch die Waffen abnahm.»
«Wie will man sich da weigern, wenn Frau und Eltern daheim alle unter der Fuchtel der Samurai stehen und keine Speere oder Äxte haben, um sich zu wehren? Aber bekanntlich schließt sich ja eine Tür, und eine andere öffnet sich. Anschließend habe ich mir das hier aufgebaut, und, na ja … Dafür muss ich dann wohl Euresgleichen dankbar sein.» Der Alte wies mit dem gleichen Lächeln wie zuvor auf sein Geschäft.
«Tja, das war Eure Entscheidung. Ich würde eher sterben, als meine Schwerter herzugeben.»
«Tatsächlich, Herr? Würdet Ihr das?» Ein verschmitztes Lächeln machte sich auf dem Gesicht des Töpfers breit, das der Junge ungewollt erwiderte. Es war, als teilten sie beide ein schmutziges Geheimnis.
«Ihr spielt ein gefährliches Spiel», warnte Bennosuke den Mann. «Wenn ein anderer Samurai hören würde, wie Ihr über unseren Stand und den Regenten herzieht, könnte er Euch ganz legal töten. Warum sagt Ihr solche Sachen?»
«Ich weiß nicht, Herr. Vielleicht, weil ich schon so alt bin, dass ich keine Angst mehr vorm Sterben habe. Oder weil Ihr noch so jung seid, dass Ihr mir tatsächlich zuhört.»
Bennosuke sagte nichts darauf, doch in diesem Moment erscholl hinter ihm ein Kampfschrei. Der Junge fuhr herum und nahm gerade noch etwas Burgunderrotes wahr, das sich auf
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