Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
sie nun zu einem Abschiedsgruß zur Sonne emporhob.
Bennosuke musste schlucken und wanderte weiter. Vielleicht würde Amaterasu ja über ihn wachen.
Kapitel 8
I n jener Nacht bekam Bennosuke einen ersten Eindruck davon, was wahre Einsamkeit war. Er hatte einige der wenigen Münzen, die Munisai ihm mitgegeben hatte, darauf verwandt, sich eine Übernachtung in einem kleinen Landgasthaus zu leisten. Dort schliefen neben ihm auch noch andere Männer, die zufrieden vor sich hin schnarchten. Bennosuke aber krampften sich die Eingeweide zusammen, und ihm war speiübel.
Er hatte geglaubt, in Miyamoto allein zu sein, doch dort hatten die Bauern ihn einfach nur nicht beachtet. Immerhin waren Dorinbo und Tasumi jeden Tag für ihn da gewesen. Nun hatte er in einem überfüllten Schankraum zu Abend gegessen und war sich so allein vorgekommen wie noch nie im Leben. Alle außer ihm schienen irgendeiner Gruppe anzugehören, und er war sich sicher, dass die Leute ihn insgeheim beäugten und über den seltsamen Möchtegern-Samurai mit dem hässlichen Hautausschlag tuschelten.
Es war dabei auch nicht eben hilfreich, dass er sich gar nicht mehr wie er selbst fühlte. Das lag nicht nur an der neuen Haartracht, er war auch zum ersten Mal gekleidet wie ein Mann. Neben dem Schwert hatte Munisai ihm einige seiner Kleider geschenkt, und so trug er nun statt des gewohnten, praktischen, schon leicht zerschlissenen Kimonos aus grobem dunklem Tuch Kleidung aus feiner Seide: ein beiges Untergewand mit zartem Zickzackmuster, darüber eine Jacke in tiefem Libellengrün, die seine Arme frei ließ und über die Taille hinabfiel. Die bequemen Strohsandalen seiner Jugend waren rechteckigen aus Holz gewichen, die seine Sohlen ein gutes Stück über den Boden emporhoben, um seine Socken vor Schmutz zu schützen und eine würdevolle Haltung zu ermöglichen.
Er fühlte sich körperlich wie geistig vollkommen fehl am Platz, wobei ihm klar war, dass es nur noch schlimmer werden würde. Das hier waren einfach nur Fremde, größtenteils reisende Händler und Handwerker, kaum ein Schwertträger befand sich darunter. Lieber wollte er sich gar nicht vorstellen, wie die Samurai in Hauptmann Tomodzunas Baracken, die seinen Vater kannten, ihn behandeln würden.
Das, so wurde ihm nun klar, war der Preis für das Langschwert. Er hatte geglaubt, die Waffe sei eine Befreiung, doch in Wirklichkeit war sie genau das Gegenteil. Freiheit hatte er als Kind genossen – die Freiheit, zu verschwinden, wenn er schüchtern war, und so wenig oder so viel zu arbeiten, wie er gerade mochte. Bisher war er sein eigener Herr gewesen und hatte nur auf seine Familie hören müssen, jetzt aber verband ihn dieses Schwert mit der Welt und verpflichtete ihn zu dienen.
Munisai diente Shinmen, ja, mehr als nur das: Er vertraute ihm. Das hieß es, ein Mann zu sein, und das würde er erdulden müssen. Er hatte das Reich des Todes betreten, als er Arima getötet hatte, und musste sich jetzt daran gewöhnen, jeden eigenen Anspruch auf seinen Körper zu verlieren. Seine Seele gehörte ihm auch weiterhin, mit seinem Körper aber konnten Shinmen, Tomodzuna oder sonst ein Ranghöherer tun, was ihnen beliebte, konnten ihm jedweden Befehl erteilen. Bennosuke würde sich als Samurai beweisen und allen zeigen, dass er es wert war, Munisais Vermächtnis anzutreten.
Das Vermächtnis seines Vaters, meinte er. Er musste sich erst noch daran gewöhnen, das zu sagen. Der Sommer war so schnell vergangen, und seine Welt war in diesem Herbst nicht mehr die, die sie noch im Frühjahr gewesen war. Es fühlte sich alles immer noch sehr seltsam an, und er hoffte, dass einige Zeit fernab des Mannes helfen würde, seine Gedanken zu sammeln und diese neue Denkweise zu verinnerlichen.
Das Vermächtnis seines leiblichen Vaters lastete ebenfalls auf ihm. Jeder Samurai konnte seine Abstammung ein Dutzend Generationen zurückverfolgen, es war also von großem Belang, von wem man abstammte. Bennosuke wusste nur, dass er kämpfen konnte – das aber konnte ein tollwütiger Hund auch. Würde das Bauernblut in seinen Adern eines Tages angeborene Feigheit oder Gemeinheit zutage treten lassen?
Ihm schauderte. Es kam ihm vor, als wären Arme, Beine und Hals in kalte, schwere Fesseln geschlagen. Die Fesseln des Erwachsenenlebens, das wusste er. Und als Reaktion darauf zog er, der angebliche Mann, sich die Decke über den Kopf wie ein Kind, das sich vor geträumten Ungeheuern versteckt und auf den Morgen wartet.
Aramaki
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