Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
Vom Netzwerk:
war die Miyamoto am nächsten gelegene größere Ortschaft. Es war keine richtige Stadt, aber der Ort war inzwischen doch so wohlhabend, dass ihm nichts Ländliches mehr anhaftete. Aramaki hatte das große Glück, an der Hauptstraße zu liegen, welche die Westspitze der Insel Honshu mit der goldenen Stadt Kyoto verband, und daher kam gut ein Viertel aller Händler des Landes regelmäßig hier hindurch.
    Das hatte die Menschen zu der kühnen Tat verleitet, die Straßen mit breiten, flachen Steinen zu pflastern, was den Gebrauch von Karren erleichterte – richtigen Karren mit großen Rädern, gezogen von Ochsen oder Pferden, im Gegensatz zu auf Schultern getragenen Lasten, wie es sonst die Regel war –, und diese Gespanne stauten sich oft regelrecht an vielbefahrenen Kreuzungen.
    Dazwischen und daneben strömten Menschenscharen einher, die tausenderlei Dinge zu erledigen hatten: Da war ein Lehrling, der Rohmaterial für seinen Meister beschaffen sollte, hier ein Bote, der eine versiegelte Lackröhre so schnell beförderte, wie er nur konnte, dort eine Kurtisane, die sich sorgte, ob sie ihren mit Wachspapier bespannten Sonnenschirm auch ja im korrekten Winkel hielt, um möglichst verführerisch zu erscheinen. All diese Menschen zu sehen und in ihrer Mitte einherzugehen, war für Bennosuke ein verwirrendes Erlebnis.
    Er hatte Aramaki schon einige Male besucht, aber da war er noch klein gewesen und hatte einfach nur auf Tasumis Pferd gesessen, während der Samurai seinen Geschäften nachgegangen war. Wenn man sich über dem Gedränge befand, wirkte der Ort längst nicht so einschüchternd, jetzt aber hatte Bennosuke damit zu kämpfen, eine Straße von der anderen zu unterscheiden. Ihm schien es, als nähmen die Gebäude kein Ende: noch ein Wirtshaus, noch eine Schmiede, noch ein Händler, der den Passanten lautstark seine Waren feilbot.
    Schließlich stieß er doch noch auf die Wache, obwohl sie leicht zu übersehen war. Es war einfach nur ein flaches, hässliches Gebäude mit einem dunklen Ziegeldach über schwarz angelaufenen Steinmauern, das inmitten der Läden und Lokale, die ihren Wohlstand mit grellen Farben und kunstvollen Schnitzereien zum Ausdruck brachten, nicht allzu viel hermachte.
    Der das Wachhaus umgebende Wassergraben war einmal fünf Schritt breit gewesen, doch als man im Dienste des Handels die Straße ausgebaut hatte, hatte man dabei auf die Notwendigkeiten bei einer etwaigen Belagerung keine Rücksicht genommen, und es war wenig mehr als eine breite Rinne davon geblieben, die allerdings doppelt mannstief war. Die ursprüngliche Brücke aber stand noch. In hohem Bogen ragte sie auf die Straße hinaus, und Arbeiter verweilten gern in ihrem Schatten.
    Über dem Tor waren die abgeschlagenen und aufgespießten Köpfe zweier Samurai angebracht, tadellos frisiert und so sauber, als wären sie gerade erst dem Bad entstiegen. Ihre Namen standen auf zwei Holztafeln darunter. Die beiden waren anscheinend an diesem Morgen hingerichtet worden und würden höchstwahrscheinlich bis zum Abend wieder verschwunden sein, denn irgendwelche Zeichen von Fäulnis oder Verwesung auszustellen wäre eine obszöne Schande, die man selbst dem schlimmsten Feind nicht angedeihen lassen würde.
    Und tatsächlich stand dort ein Mann mit einer langen Stange, um Vögel zu verscheuchen, die an ihnen herumpicken wollten, denn die beiden wurden nicht zur Demütigung ausgestellt, sondern um anhand der sauberen Halsschnitte zu beweisen, dass sie eines würdevollen Todes per Seppuku gestorben waren und all ihre Vergehen damit getilgt hatten. Das Ganze diente nicht der Abschreckung, sondern als Beispiel: Dies waren gute Männer, die an Recht und Sitte glaubten und diesen Glauben auf reinste Weise unter Beweis gestellt hatten.
    Doch so reingewaschen die beiden auch sein mochten – der Blick ihrer toten Augen trug nicht gerade dazu bei, Bennosukes Nerven zu beruhigen. Er stand eine Weile vor dem Tor, bis er den Mut aufbrachte hineinzugehen. Der erste Eindruck war stets sehr wichtig, und ihm war klar, dass sein Hautausschlag bereits gegen ihn sprach. Das hier waren die Männer, die sich für sein Leben einsetzen würden, als wäre es ihr eigenes, und er musste sie überzeugen, dass er dessen würdig war. Er legte die Hand auf das Langschwert an seiner Seite und schritt über den Brückenbogen.
    Der Hof der Wache war praktisch gestaltet, frei von Bäumen, Sand oder Kunstwerken und glücklicherweise auch von dem Gedränge, das draußen auf der

Weitere Kostenlose Bücher