Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
einigen konnten, wer aus der
Redaktion entlassen und wer eingestellt werden solle. 41
Am 20. Oktober 1905 besuchte der 1885 geborene Karl Radek (Karol Sobelson) Rosa Luxemburg erstmals. Obwohl sie zunächst nicht
begeistert gewesen war, äußerte sie sich anschließend gegenüber Leo Jogiches sehr positiv über den neuen jungen Mitstreiter,
der seit 1904 Mitglied der SDKPiL war: »Er wird Dir bestimmt gefallen, er hat ein sehr originelles Aussehen, er erinnert mich
mit seinen Locken etwas an Trotzki.« 42 Karl Radek wohnte seit kurzem in Tegel bei Berlin, und bald schon bat sie Jogiches, er möge ihn ja nicht »en canaille« behandeln,
denn »der Ärmste, fühlt sich hier ohnehin schon sicher unter aller Kritik, da er […] bei mir eine ziemlich kühle oder eher
eine zurückhaltende Aufnahme fand, so daß er sich hier gleich wie auf einer unbewohnten Insel fühlte« 43 .
Inzwischen hatten sich im »Vorwärts« die Fronten geklärt. Am 22. Oktober meldete er, daß die opportunistische Mehrheit von
sechs Redakteuren um Kurt Eisner gekündigt habe. Bebel und Kautsky bedrängten Rosa Luxemburg, sofort die Geschäfte in die
Hand zu nehmen. Sie versuchte, so rasch wie möglich den zweiten Teil ihres Kommentars zum Programm der Sozialdemokratie des
Königreichs Polen und Litauens für deren Zeitung »Przeglad Robotniczy« zu beenden. Der erste Teil war bereits 1904 unter dem
Titel »Was wollen wir?« erschienen. 44
|231| Rosa Luxemburg mußte ab 1. November mit ihrem Einsatz rechnen, denn die maßgeblichen Gremien der Partei hatten die Kündigung
der »Vorwärts«-Redakteure angenommen und ihre Entscheidung am 25. Oktober veröffentlicht. »Fürchte Dich nicht«, schrieb sie
ihrem Lebensgefährten, »ich lasse mich nicht ganz im Geschmiere für den ›Vorwärts‹ begraben, aber die zwei Leitartikel muß
ich behalten, denn das ist auch eine sehr wichtige Position, nun – und Zaster! In finanzieller Hinsicht leben wir endlich
auf, kommen aus den Schulden heraus und schaffen uns allmählich die unbedingt notwendigen Sachen an. Und was die Position
betrifft, so fällt mir, in Anbetracht dessen, daß die Redaktion notgedrungen aus miserablen (dafür ›koscheren‹) Federn bestehen
wird, die Pflicht zu, den Ton anzugeben undde facto die erste Geige zu spielen. Vergiß nicht, das ist zugleich,
seit die Welt steht, das erste Experiment mit einer durchweg radikalen Kabinettbildung im ›Vorwärts‹
.
Und da gilt es zu zeigen, daß die Linke ›regie
rungsfähig
‹ ist!
Wenn sie mir den Eintritt in die Redaktion anbieten würden (was auch nicht ausgeschlossen ist, August hat mich auf seiner
Liste vorgemerkt), bin ich entschlossen abzulehnen. Wozu brauche ich den Kram und die Verantwortung für die Technik der Zeitung
und die Nachtarbeit? Für mich ist es am bequemsten, nur die Leitartikel zu Hause zu schreiben und dadurch eine einflußreiche
Stellung zu haben. Was denkst Du über das alles? Schreibe sofort.« 45
Zunächst aber protestierten die gekündigten Redakteure um Kurt Eisner gegen die Vorgehensweise des Parteivorstandes und gegen
die Mitarbeit von Rosa Luxemburg. Der sogenannte »Vorwärts«-Konflikt spitzte sich zu. Kautskys überfielen Rosa Luxemburg ständig
mit Neuigkeiten. Am 27. Oktober abends bat Karl Kautsky sie eindringlich, mit zu Bebels zu gehen. Wenngleich es keinen direkten
Grund gab, wollte sie nicht abschlagen. »Wir saßen und plauderten, vielmehr hörten zu, denn er redete wie immer ›ganz allein‹,
bis 11 Uhr«, berichtete sie ihrem Leo. »Wie sich herausstellt, hat sich die ganze bürgerliche Presse den
Braten
vorgenommen, die Vossin im Leitartikel! Überall ist auch die
›rrrevolutionäre Rosa‹
als
Schreckgespenst
hingestellt
. Aujust [Bebel] ist fest wie Eisen
. Was Deine Ratschläge bezüglich der Rechte und Honorare |232| betrifft, so verzeih, aber ich werde auch diesmal etwas anders vorgehen – nach meinem Instinkt und meiner Natur. Ohne
in Edelmut zu spielen
– keineswegs! Ich beginne jedoch nicht damit, Bedingungen zu stellen und zu feilschen. In diesem Augenblick geht es allein
darum, die anderen hinauszufeuern, ›das Haus vom Unrat zu säubern‹. Das, was sich jetzt herausbildet, ist seiner Natur nach
ein
Provisorium
. Folglich muß man jetzt hauptsächlich zeigen, was man kann; sich
kleinlich und berechnend
zeigen ist jetzt gar nicht apropos. Übrigens hege ich dahingehend nicht die geringste Befürchtung […]. Mit einem Wort
Weitere Kostenlose Bücher