Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
benutzen durfte, fühlte sie sich
halb wie zu Hause, wie sie sarkastisch bemerkte. Kautskys versorgten sie mit Literatur, Gertrud Zlottko, seit 1907 ihre Hausgehilfin,
brachte frische Wäsche. Clara und Kostja Zetkin sowie Luise Kautsky besuchten sie auch gelegentlich. Clara Zetkin brachte
die Fahnenkorrektur zum Referat »Zur Frage des Frauenwahlrechts« für die internationale Frauenkonferenz in Stuttgart, die
Rosa Luxemburg mit großem Genuß las und als große Bereicherung empfand, denn sie »hatte keine Ahnung von dieser ganzen Fülle
von Tatsachen aus der Weiberwelt« 161 . Das erste Mal zollte Rosa Luxemburg Clara Zetkins Bemühungen um Frauenrechte und Frauenbewegung einen solch wohlbedachten
Respekt.
Vielleicht kannst Du mir ein weibliches Mandat verschaffen?
Die »Frauenfrage«, für die Rosa Luxemburg eigentlich kaum Interesse zeigte, verband sie für kurze Zeit noch enger mit Clara
Zetkin. Der Freundin verdankte sie es, daß sie am 11. Juli 1907 in einer öffentlichen Frauenversammlung in Leipzig als Delegierte
der Frauen Sachsens zur Internationalen Konferenz sozialistischer Frauen und zum Internationalen Sozialistenkongreß in Stuttgart
gewählt wurde, der vom 18. bis 24. August 1907 im großen Saal der Liederhalle tagte. Émile Vandervelde eröffnete diesen ersten
internationalen Kongreß auf deutschem Boden, und August Bebel hielt die Begrüßungsansprache vor den 884 Delegierten aus 25
Ländern.
Rosa Luxemburg war schon am 15. August nach Stuttgart gereist, um an der vorbereitenden Sitzung des Internationalen Sozialistischen
Büros teilzunehmen, in das 1907 auch Lenin gewählt wurde. »Schau den da gut an! Das ist Lenin«, riet sie Clara Zetkin. »Sieh
den eigenwilligen, hartnäckigen Schädel! Ein echt russischer Bauernschädel mit einigen leicht asiatischen Linien. Dieser Schädel
hat die Absicht, Mauern umzustoßen. Vielleicht, daß er daran zerschmettert. Nachgeben wird er nie.« 162 Rosa Luxemburg wohnte bei Clara Zetkin und konnte so gelegentlich |278| heimlich ein paar Stunden mit ihrem geliebten Kostja verbringen.
Am 17. August sprach Rosa Luxemburg auf der Frauenkonferenz über ihre Erfahrungen mit dem Internationalen Sozialistischen
Büro in Brüssel, dem sich auch die internationale Frauenbewegung anschließen wollte. Da es noch kein so lebensfähiges internationales
Zentrum sei, riet sie davon ab, unterstützte aber den Vorschlag, ein Internationales Frauensekretariat mit Sitz in Stuttgart,
Clara Zetkin als Sekretärin und der »Gleichheit« als Publikationsorgan zu schaffen.
Das ihr für den Internationalen Sozialistenkongreß übertragene Mandat erklärte die 289köpfige deutsche Delegation auf Betreiben
Georg von Vollmars für ungültig, da nach dem Statut der sächsischen Sozialdemokraten Frauen und Männer gemeinsam organisiert
waren und nur gemeinsam Delegierte wählen durften. Rosa Luxemburg nahm daraufhin am Kongreß als Mitglied des Internationalen
Sozialistischen Büros und als Delegierte der SDKPiL teil.
Ihren Feuereifer konnten Mandatsquerelen, an die sie von Anbeginn ihrer Teilnahme an internationalen Kongressen gewöhnt war,
nicht dämpfen – es war ihr zu wichtig, den Geist der russischen Revolution in die Beratungen über das zentrale Thema, den
Militarismus und die internationalen Konflikte, hineinzutragen. Dementsprechend mahnte sie eindringlich, aus der russischen
Revolution für die internationale Arbeiterbewegung Lehren zu ziehen.
Tatsächlich konnte man ihr eine besondere Qualifikation für osteuropäische Fragen nicht absprechen, auch wenn ihre politischen
Stellungnahmen mehr als umstritten waren. Als sich die Kommission zum Tagesordnungspunkt »Der Militarismus und die internationalen
Konflikte« nicht einigen konnte und eine Subkommission gebildet wurde, forderte Vaillant, Rosa Luxemburg als Vertreterin für
Polen hinzuzuziehen: Als Zeugin der revolutionären Kämpfe in Warschau habe sie hilfreiche Erfahrungen in der Anwendung neuer
Kampfformen gesammelt. Weil die deutschen Vertreter in der Kommission – vorwiegend Exponenten des rechten Flügels der Partei
– dagegen stimmten, stellte Lenin Rosa Luxemburg ein Mandat der russischen Sozialdemokratie zur Verfügung.
|279| Im Mittelpunkt der Antimilitarismus- und Antikriegsdebatten stand August Bebels Resolutionsentwurf, der sich im wesentlichen
mit dem Entwurf von Guesde deckte, den Kampf gegen die drohende Gefahr eines imperialistischen Krieges
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