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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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wissenschaftliche Arbeit und in die Vorbereitung eines
     ökonomischen Kurses, der im Rahmen der Berliner Bildungsabende stattfinden sollte. Sie hatte Vorträge zu sechs Themen zugesagt,
     weil sie die Arbeit an der Basis für unerläßlich hielt. Die Bücher, um die sie während ihres Gefängnisaufenthaltes gebeten
     hatte, so Lassalles »Kapital und Arbeit«, der »Anti-Dühring«, der »Achtzehnte Brumaire« oder Blanquis Geschichte der Nationalökonomie,
     standen auch jetzt griffbereit. Obgleich ihr die Arbeit Befriedigung verschaffte, schweiften ihre Gedanken immer wieder ab,
     wohl auch, weil sie ihre persönliche Situation als zunehmend unerträglich empfand. Sie gab sich erneut Tagträumen hin, von
     denen sie Kostja bereits aus dem Gefängnis berichtet hatte: »Heute male ich mir unwillkürlich den ganzen Tag aus: ein ganz
     ruhiges, weltabgeschiedenes Leben – wie im vorigen Winter – und viel lesen, arbeiten, spazieren (Schlittschuh laufen …). Welche
     Wonne wäre das! Ich kann mir nichts Herrlicheres vorstellen. Aber das ist ja ein Traum, und ich fühle einen heftigen Schmerz,
     wenn ich an die Wirklichkeit, an die nächste Zukunft denke.« 166
    Ob sie es wahrhaben wollte oder nicht, ihr fehlte die innige und geistvolle Partnerschaft mit Leo Jogiches, für die Kostja
     Zetkin ein unvollkommener Ersatz war. Rosa und Leo hatten nach der langen Trennung 1906/07 nicht mehr zueinandergefunden und
     bereits nach seiner Rückkehr aus Warschau einen Schlußstrich unter ihre Beziehung gezogen. Nach dramatischen Szenen, in denen
     sie sich gegenseitig Unverständnis und Untreue vorwarfen, gebot ihnen die Vernunft, einander freizugeben. Innerlich zutiefst
     verletzt, wußten sie jedoch lange Zeit nicht, wie sie mit dem Entschluß leben sollten. Dies war umso belastender, als sich
     ständige Begegnungen nicht vermeiden ließen. Sie sahen sich noch immer fast täglich – in der gemeinsamen |282| Wohnung und Bibliothek, bei politischen Zusammenkünften oder in ihrem Freundeskreis.
    In den vergangenen fünfzehn Jahren war die Beziehung zwischen Rosa Luxemburg und Leo Jogiches durch ihre eigenwilligen Charaktere
     und die unsicheren Lebensumstände, die ihr politisches Engagement mit sich brachte, mehrfach auf eine harte Probe gestellt
     worden. Dennoch hatte sich ein von Liebe und Respekt geprägtes Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelt, das nun vor allem
     bei Leo in Wut und Verzweiflung umschlug. Er wollte Rosa Luxemburg nicht freigeben und duldete sie nicht in den Armen eines
     anderen Mannes. In seiner Ohnmacht scheute er auch vor Todesdrohungen nicht zurück. Rosa Luxemburg glaubte sich aus Furcht
     vor einer Kurzschlußreaktion Leos dem Wahnsinn nahe und bangte auch um Kostjas Leben. 167 Vielleicht werde die ganze Sache traurig enden, schrieb sie an ihren Geliebten, aber sie könne nichts dagegen tun. 168 Aus Angst besorgte sich die sonst auch durch Revolutionskämpfe nicht zu erschütternde Frau eine Pistole.
    Rosa Luxemburg wünschte sich bereits seit einigen Jahren ein Kind. Leo Jogiches hatte ihr dieses Verlangen wegen ihrer unsteten
     und notgedrungen immer wieder konspirativen Lebensweise nicht erfüllen wollen. Kostja, für sie doch mehr Junge als Mann, kam
     als Vater wahrscheinlich gar nicht erst in Betracht. Der innig gehegte Wunsch schien sich wohl überhaupt nicht verwirklichen
     zu lassen.
    Von ihrer Familie hatte sich Rosa Luxemburg seit ihrem Studium in Zürich zunehmend entfremdet, man lebte in verschiedenen
     Welten. Einen der seltenen Besuche ihrer Geschwister empfand sie als unwillkommene Störung. So stöhnte sie in einem Brief
     vom September 1907 an Clara Zetkin: »Leider fiel ich aus Eurem Paradies in ein Inferno – mein Haus ist ganz voll von Verwandtenbesuch
     (mit Kindern!), ich habe kein Plätzchen für mich und keinen Augenblick Ruhe. Du kannst Dir vorstellen, wie mir zumute ist.« 169 Ihre Seele verstaube, sie sei müde, leide unter geistigen Depressionen, habe ja auch seit Mai 1907 kein bißchen Erholung
     gehabt. Erleichtert atmete sie auf, nachdem am 17. September die letzten Gäste abgereist waren und auch Leo Jogiches für längere
     Zeit Berlin verlassen hatte: »Nun bin ich wieder allein«, teilte sie Kostja mit, »die |283| Wohnung ist in Ordnung und sauber, es ist still um mich her, und die grüne Lampe brennt auf dem Tisch. Ich hoffe, daß meine
     Nerven sich bald erholen werden, namentlich in strenger Arbeit.« 170 Doch war dies eher eine Schutzbehauptung, um

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