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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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den Wunsch nach inniger Zweisamkeit nicht übermächtig werden zu lassen.
    Kostja war Rosa Luxemburg unzählige Male begegnet, nun, da er zum Mann herangereift war, wurde die Freundin der Mutter für
     ihn die begehrenswerte Partnerin. Vermutlich fühlte sich Kostja in seiner Familie nicht immer verstanden, nicht wirklich geborgen.
     Auf der Suche nach Antworten über den Sinn des Lebens, den richtigen Beruf und eine klare Perspektive versprach er sich allein
     von Rosa Luxemburg Hilfe. Sie gab sich ihm begierig hin – auch um den Schmerz ihrer Trennung von Leo Jogiches zu betäuben
     und ihre Depressionen zu überwinden. »Kostik, mein Sohn«, »Geliebter kleiner Bubi!« nannte sie ihn und sah in ihm den kleinen
     Jungen, »dessen Gesicht Ruhe und Festigkeit atmete, in dessen Seele aber noch graue Morgennebel brauen und unentschlosssen
     hin und her wogen wie über einer wundervollen Gebirgslandschaft vor Sonnenaufgang«, um es gleich darauf mit fast harschen
     Worten zurückzunehmen: »’s ist alles Quatsch, mein Junge, geh schlafen oder spazieren«. 171 Schwärmerische Liebkosungen und intime Geständnisse sexuellen Verlangens wechselten in ihren Briefen an Kostja mit Alltagsschilderungen,
     Belehrungen, Seufzern, Klagen über zu wenig Post und guten Wünschen für seine Unternehmungen und für sein körperliches und
     geistiges Wohlbefinden. Einmal hoffte sie, ihn für Nationalökonomie begeistern zu können, um ein andermal mit ähnlicher Eindringlichkeit
     seine Fähigkeiten zum Romancier anzustacheln. Sie empfahl ihm die russische Sprache, da in Rußland das Leben am stärksten
     sprudele und am intensivsten über die Revolution gestritten werde. Freimütig urteilte sie über Geschehnisse auf nationalen
     und internationalen Parteikongressen, über Bücher und Menschen und offenbarte Kostja eigene Zweifel: »Warum, warum muß ich
     im Leben durch lauter stechende und schneidende Eindrücke gehen, wo in mir ewig die Sehnsucht nach ruhiger Harmonie weint?
     Warum stürze ich mich immer wieder in die Gefahren und Schrecken neuer Situationen, wo |284| das Ich verlorengeht, weil es sich gegen die anstürmende Außenwelt nicht behaupten kann?« 172
    Im Innersten wußte Rosa Luxemburg, daß sie einem unerfüllbaren Traum nachlief.
    Ganz allmählich besiegte sie Müdigkeit, Nervosität und Ängste. Sie vermochte sich wieder auf ihren Beruf zu konzentrieren.
     Durch ruhiges, regelmäßiges Leben und fleißige Arbeit, versicherte sie Kostja am 24. September 1907, sei sie in der Nationalökonomie
     wieder ins richtige Lot gekommen; »ich war schon ganz aus der Denkweise heraus, und das drückte mich sehr« 173 .
    Schon kam eine neue Herausforderung auf sie zu, die sie total aufwühlte. Da dem Österreicher Rudolf Hilferding und dem Holländer
     Anton Pannekoek als Ausländern, Marxisten wie sie, von den Behörden das Unterrichten an der zentralen Parteischule der deutschen
     Sozialdemokratie in Berlin untersagt und mit Ausweisung gedroht wurde, fiel die Wahl des Parteivorstandes auf Rosa Luxemburg.
     Am 24. September 1907 teilte ihr Karl Kautsky, der ursprünglich vorgesehen war und ablehnte, August Bebels Vorschlag mit,
     an der Parteischule das Fach Nationalökonomie zu übernehmen. Sie möge bitte bis zum nächsten Tag definitiv antworten.
    Für einige Stunden schwankte Rosa Luxemburg: »Mein erster Gedanke und mein Gefühl war, nein zu sagen«, schrieb sie dem Geliebten.
     »Die ganze Schule interessiert mich blutwenig, und zum Schulmeister bin ich nicht geboren. Auch die Ehre, den schönen Rudolf
     zu ersetzen, ist gering. Aber andere Gründe sprechen dafür, nämlich es kam mir plötzlich in den Sinn, daß dies am Ende für
     mich endlich eine materielle Existenzbasis wäre. Man bekommt 3 000 M für einen halbjährigen Kursus (Oktober – März) zu vier
     Vorlesungen in der Woche. Das sind eigentlich glänzende Bedingungen, und in einem halben Jahr hätte ich ständig mehr als für
     ein ganzes Jahr verdient, dabei habe ich die Nachmittage immer frei und ein halbes Jahr ganz für mich. Das wäre vielleicht
     das vernünftigste, sonst werde ich, mit meiner launischen Art zu arbeiten, immer nur von Zufällen leben; so aber hätte ich
     Ruhe und Muße, um für mich wissenschaftlich zu arbeiten. Gerade zupaß kommt es mir, daß ich da für den Berliner Kursus vorbereitet |285| bin, und ich könnte denselben Plan benutzen, nur ausführlicher.« 174
    Am nächsten Tag sagte sie zu, nachdem sie an den Beratungen des

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