Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
bewaffneten Aufstand. Rosa Luxemburg warnte vor »Verschwörerspekulation und grob-revolutionäre[m] Abenteurertum«. Volksmassen
auf illegalem Wege zu bewaffnen, hielt sie für ein ebenso utopisches Unternehmen wie den Plan, »den sogenannten bewaffneten
Aufstand vorzubereiten und vorsätzlich zu organisieren«. Schwerpunkt der Sozialdemokratie müsse die politische, nicht die
technische Vorbereitung von Massenkämpfen sein. 148
In aller Kürze erörterte sie noch einmal ihr Verhältnis zum Marxismus, der auf die Tatkraft der Arbeiterklasse als revolutionären
Faktor baue. 149 Die Marxsche Lehre zeichne sich durch Biegsamkeit und Schärfe aus und dürfe nicht durch ein unentschiedenes Hin- und Herpendeln
in der Taktik in ein Wirrwarr verwandelt werden, wie dies durch die sich ebenfalls auf Marx berufenden Menschewiki geschehe.
Aber sie kritisierte auch Enge, Intoleranz und eine gewisse Mechanistik bei den Bolschewiki, für die sie in den innerparteilichen
Kämpfen mit dem Opportunismus der Menschewiki eine Erklärung fand, aber keine Rechtfertigung dulden wollte.
Die deutsche Sozialdemokratie könne sich den Luxus leisten, »hart und unbeugsam, was den Kern der Taktik betrifft, nachgiebig
und tolerant, was die Form betrifft«, zu sein. Denn die überwältigende Mehrheit der Partei verfechte das Prinzip selbständiger
revolutionärer Klassenpolitik. Das Häuflein von Opportunisten sei vollkommen ungefährlich, »im Gegenteil, die Freiheit der
Diskussion und die Meinungsverschiedenheiten sind im Hinblick auf die Größe der Bewegung geradezu notwendig« 150 . Rosa Luxemburg befürwortete nachdrücklich den Sieg der selbständigen proletarischen Klassenpolitik, wie sie von den Bolschewiki
in der Revolution vertreten wurde, aber »nicht in ihrer spezifischen bolschewistischen Form, sondern in jener Form, wie sie
die polnische Sozialdemokratie |274| auffaßt und durchführt, in der Form, die dem Geist der deutschen Sozialdemokratie und dem Geist des wirklichen Marxismus am
nächsten kommt« 151 .
»Ihr Referat war in Wahrheit eine glänzende Rede«, erinnerte sich Gandurin, ein russischer Delegierter. »Sie war voll sprühender
Vergleiche und Beispiele und machte auf uns den tiefsten Eindruck. Rosas Stimme klang dunkel und leise, aber was ergriff,
war ihr tiefes Pathos. Uns allen schien sie ganz außerordentlich überzeugend, herrlich einfach und tief aufrichtig. Aus ihrer
Rede klang eine achtungsvolle, aber doch bissige Ironie gegen Plechanow und seine Gesinnungsgenossen. Sie nannte keine Namen,
aber Plechanow verstand wohl, gegen wen ihre Pfeile gerichtet waren, und nahm die Herausforderung an. Als Rosa das Rednerpult
verließ und zwischen den Bänken hindurch zu ihrem Platze zurückging, brachte ihr der bolschewistische Flügel eine Ovation
dar.« 152
Plechanows Versuch, Rosa Luxemburgs Rede abzuschwächen, trat neben anderen Bolschewiki besonders energisch Lenin entgegen,
der sie zu ihren Ausführungen wärmstens beglückwünschte. 153
Bei ihrem dritten und letzten Auftritt auf diesem Parteitag ging Rosa Luxemburg auf Fehldeutungen ihrer Parteitagsrede ein.
Sie trug Gedanken über die Stellung zu kleinbürgerlichen Schichten und zum Bauerntum nach. Gegen Plechanow, für den der Bauer
und der Kleinbürger reaktionäre Elemente der Gesellschaft seien, polemisierte sie. In Deutschland stießen immer zahlreichere
Schichten nicht nur des Landproletariats, sondern auch der Kleinbauern zur Sozialdemokratie und bewiesen somit, »daß es bis
zu einem gewissen Grade trockener und lebloser Schematismus ist, wenn man von der Bauernschaft als einer durchweg einheitlichen
Klasse reaktionärer Kleinbürger spricht. Auch in der noch nicht differenzierten Masse der russischen Bauernschaft, die von
der gegenwärtigen Revolution in Bewegung gebracht wurde, befinden sich bedeutende Schichten nicht nur unserer zeitweiligen
politischen Verbündeten, sondern auch unserer künftigen natürlichen Genossen.« 154 Darum hüte man sich vor Sektierertum. Die Bauernschaft sei in der gegenwärtigen Revolution ein revolutionärer Faktor, da
sie in schärfster Form die Frage einer Umwälzung |275| der Agrarverhältnisse auf die Tagesordnung der Revolution stelle. Solange die Bodenfrage nicht gelöst ist, sei sie ein selbständiges
Ferment der Revolution und verleihe den spontanen Volksbewegungen breiten Schwung. Daraus entspringe die utopisch-sozialistische
Färbung der
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