Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
allerdings wesentlich
allgemeiner umschrieb und die traditionelle parlamentarische Tätigkeit favorisierte.
Die revolutionären Kräfte unter den Delegierten versuchten die Aufgabenstellung in der Bebelschen Resolution zu konkretisieren.
Auf Initiative Lenins besprachen am 19. und 20. August linksorientierte Mitglieder mehrerer Delegationen, u. a. Georg Ledebour,
Rosa Luxemburg und Leo Jogiches, in gesonderten Zusammenkünften ihre Änderungswünsche und ihr Vorgehen. 163 Auf Grund der Erfahrungen der Revolution in Rußland forderten auch die französischen Sozialisten um Vaillant und Jaurès in
ihrem Resolutionsentwurf, parlamentarische und außerparlamentarischen Aktionen miteinander zu verbinden.
Lenin, Rosa Luxemburg und Martow wollten in ihrem Zusatzantrag die revolutionäre Massenaktion nicht auf die Verhinderung des
imperialistischen Krieges beschränkt wissen, sondern auch für eine Beschleunigung des Sturzes der kapitalistischen Klassenherrschaft
vorsehen. Eine Analyse der Vorgeschichte habe den Zusammenhang zwischen dem Russisch-Japanischen Krieg und dem Ausbruch der
Revolution gezeigt und damit bewiesen, daß es im Kampf für Frieden, Demokratie und die Lösung sozialer Probleme enge Berührungspunkte
gibt. Stets aber müßten die konkreten Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern berücksichtigt werden. Dies ignoriere Hervé,
wenn er den Kriegsausbruch mit einem Generalstreik beantworten wolle. Einig waren sich die meisten Delegierten darüber, die
antimilitaristische Agitation unter der Jugend zu verstärken.
Zu den intensiven Verhandlungen über die von Lenin, Luxemburg und Martow vorgeschlagene Fassung der Resolution wurde der Rechtsanwalt
Hugo Haase als Berater hinzugezogen. »Die erste Fassung sprach viel direkter von revolutionärer Agitation und revolutionären
Taten«, schrieb Lenin. »Wir zeigten sie Bebel. Er antwortete: Darauf gehe ich nicht ein, da die Staatsanwaltschaft dann unsere
Parteiorganisation sofort |280| auflösen wird. Und wir wollen dies nicht, solange kein ernsthafter Grund dazu vorliegt. Nach Besprechungen mit Juristen und
vielfältigen Umarbeitungen des Textes, die den Zweck verfolgten, denselben Gedanken auf legale Art auszudrücken, wurde die
endgültige Formulierung gefunden, zu deren Annahme Bebel seine Zustimmung gab.« 164
Der wichtigste Absatz der Resolution lautete schließlich: »Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen
und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, unterstützt durch die zusammenfassende Tätigkeit
des Internationalen Büros, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch
des Krieges zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klassenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen
Situation naturgemäß ändern. Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten
und mit allen Mitteln dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung
des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.« 165
Diese Resolution bekräftigte das Friedensengagement der II. Internationale. Mit den durch die Linken eingebrachten Akzenten
bot sie mannigfaltige Ansatzpunkte, sie situationsabhängig auszulegen und zu erweitern. Lenin knüpfte daran im Weltkrieg seine
Losung von der Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg; Rosa Luxemburg fand Bestätigung für ihre Alternative
Sozialismus oder Untergang in der Barbarei.
August Bebel starb, bevor ihn der Kriegsbeginn vor die Konsequenz der revolutionären Orientierung stellen konnte. Für die
»Vaterlandsverteidigung« Deutschlands im Sinne der Noskeschen Jungfernrede vom April 1907 gewährte sie keine Handhabe. Die
Antikriegsresolution des Stuttgarter Kongresses war ein Erfolg der konsequent antimilitaristischen Kräfte, an dem Rosa Luxemburg
großen Anteil hatte.
|281| Man fühlt, daß man lebt und nicht vegetiert
Im Spätsommer des Jahres 1907 haderte Rosa Luxemburg durchweg mit ihrem Schicksal, sah sich von dunklen Schatten beherrscht.
Zum bevorstehenden Parteitag in Essen fuhr sie nicht. Was sie zu sagen hatte, war von ihr bereits in der Presse bzw. in London
und Stuttgart kundgetan worden. Statt dessen flüchtete sie sich in ihre
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