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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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»Olymp« teilgenommen hatte, wie sie in diesem Fall den Parteivorstand
     bezeichnete, dem August Bebel und Paul Singer als Vorsitzende sowie W. Eberhardt, F. Ebert, A. Gerisch, H. Molkenbuhr, H.
     Müller, W. Pfannkuch, R. Wengels und Luise Zietz angehörten. Rosa Luxemburg war wieder optimistisch gestimmt. Mit der Annahme
     des Lehrauftrags für Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie schuf sie sich einen Rückhalt, der ihr über die privaten Schwierigkeiten
     hinweghalf. Beim Nachdenken über die bevorstehende Arbeit, die jeden Freitag zu bestreitenden Berliner Kurse und die sonstigen
     Verpflichtungen besonders gegenüber der polnischen Bewegung und Presse träumte sie indes bereits von einem Weihnachtsurlaub
     am Gardasee, den sie sich mit Kostja nun wohl leisten könnte.
    Ihre Sehnsucht nach Kostja verstärkte sich. Die Aussicht auf ein ungestörtes und harmonischen Leben mit ihm war gering. Die
     ständige Suche nach geheimen Treffpunkten schien die zwischen ihnen bestehende Spannung zu potenzieren. Verständnis anderer
     für ihre Beziehung schlossen sie aus. Rosa Luxemburgs Briefwechsel mit Kostja intensivierte sich enorm. Dabei wechselte sie
     die Rolle einer sorgenden Mutter und gebieterischen Mentorin sowie einer leidenschaftlichen Geliebten ständig. Hatte sie Kostja
     eben noch um intime Treuebeweise und Liebesschwüre angefleht, trug sie ihm gleich darauf Lebensregeln vor. Minutiös berichtete
     Rosa Luxemburg über ihren Tagesablauf, offenbarte ihre Gedanken und Gefühle. Wiederholt forderte sie Kostja zu gesunder Lebensweise,
     systematischem Arbeiten, kritischem Lesen, couragiertem Verhalten und klugem Pläneschmieden auf, damit er in drei Jahren mit
     dem Studium der Nationalökonomie so weit sei, daß er ihr jetziges »Katheder« übernehmen könne.
    An manchen Tagen lief sie mehrmals zum Postamt in der Niedstraße, um nach Briefen von Kostja zu fragen. Immer wieder las sie
     die Post, trug seine Briefe ständig bei sich, nahm sie sogar mit ins Bett, bevor sie sie, seinem Wunsche entsprechend, schweren
     Herzens verbrannte. 175
    |286| Glaubte sie in den Briefen des Geliebten Zerstreutheit oder Unaufmerksamkeit zu entdecken, machte sie dem gerade noch Angebeteten
     unvermittelt Vorhaltungen: »Ich erwartete«, schrieb sie ihm an ihrem ersten Tag an der Parteischule, »daß Du mir Deine Ansichten
     über diese Sache mit der Schule schreibst, aber Du erwähnst sie nur kurz. Na, ist gleich.« 176 Wenn seine Urteile zu ihrem Tun wortkarg ausfielen, konnte sie gleichermaßen barsch oder traurig werden, litt unter Eifersucht
     und Mißtrauen. Nachdem Rosa Luxemburg am 1. Oktober 1907 über Kostjas ungeheure Zerstreutheit geklagt und »irgendeinen fremden
     Eindruck« auf ihn vermutet hatte, schrieb sie am 4. Oktober: »Kleines Lieb, wir haben beide die gleiche Kunst, uns selbst
     und gegenseitig mit Angst zu plagen; wenn ich einige Tage von Dir keinen Brief habe, so beginne ich auch gleich zu zweifeln,
     wie Du zu mir stehst, und male mir allerlei peinliche Bilder von Dir aus.« Sie jubilierte, als Kostja seinen Besuch ankündigte:
     »Du willst also bald kommen! Denke Dir, ich wagte gar nicht daran zu denken! […] in meiner Nähe das Schönste und Liebste.« 177

Die Schule macht mir ziemlich viel Freude
    Rosa Luxemburgs Lehrtätigkeit über Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie an der Parteischule der deutschen Sozialdemokratie
     in Berlin begann am 1. Oktober 1907. Ihr Leben erhielt durch eine ihr bisher unbekannte Pflicht eine strengere Ordnung und
     einen ganz neuen Rhythmus. An vier Wochentagen mußte sie von Friedenau ins Stadtinnere fahren, um von 10 bis 12 Uhr nach einem
     feststehenden Stundenplan zu unterrichten. Sie stand um 6.30 Uhr auf, ging gegen 8 Uhr etwas spazieren, dann in die Schule.
     Am frühen Nachmittag gönnte sie sich etwas Ruhe, anschließend bereitete sie den nächsten Unterrichtstag vor oder erledigte
     andere Dinge; um 21.30 ging sie zu Bett. Freilich mußte die bislang freischaffende Journalistin und Wissenschaftlerin sich
     erst daran gewöhnen, ein halbes Jahr »an die Parteischule gekettet« zu sein. 178
    Der »Vorwärts«, in dem sie weiterhin gelegentlich publizierte, triumphierte nach Rosa Luxemburgs Zusage. Nicht nur |287| der Ersatz für Hilferding und Pannekoek, sondern auch die Art des Ersatzes werde bei der hohen Behörde nicht gerade angenehme
     Gefühle auslösen, hieß es. Denn »Franz Mehring wird die Stundenzahl seines Unterrichts in deutscher

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