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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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neuen Umständen keinesfalls
     verzichten.
    Eifrig warb Rosa Luxemburg in diesen Wochen bei Freunden im Ausland um Artikel für die Zeitschrift »Przegląd Socjaldemokratyczny«,
     die seit März 1908 nach einer Unterbrechung von vier Jahren wieder regelmäßig in Krakau erscheinen konnte. Rosa Luxemburg
     gehörte neben Leo Jogiches, dem Chefredakteur, Warski, Malecki, Dzierżyński und Marchlewski zur Redaktion und bereitete für
     diese Zeitschrift selbst eine große Artikelserie zur nationalen Frage vor. Außerdem schrieb sie an ihrer ökonomischen Arbeit
     »Zur Einführung in die Nationalökonomie«, an anderen Artikeln und Rezensionen und sprach auf Versammlungen. Zwischendurch
     ging sie mit Hans Diefenbach, der ab Herbst 1907 in Berlin lebte und studierte, ins Theater oder in Konzerte oder fuhr mit
     Hans Kautsky im Auto umher. Doch selten hielt ihre Begeisterung für solche Abwechslungen lange an. Ein paar Mal durch Berlin
     zu fahren genügte ihr, um sich zu entspannen.
    |303| Vom 12. Juni bis 10. Juli verreiste Rosa Luxemburg zum ersten Mal mit ihrer Schwester Anna, und zwar nach Kolberg an der Ostsee.
     »Die Ostsee ist ein Wassertrog, und Kolberg ist ein Drecknest« 216 , urteilte sie am ersten Tag, nachdem sie zwar ein ruhiges Hotel am Park und am Strand gefunden hatte, sich aber mit den klimatischen
     Bedingungen nicht anfreunden konnte. Rosa Luxemburg reagierte neuralgisch auf die feuchte Luft. Die Reise sollte in erster
     Linie der Erholung ihrer Schwester dienen. Über sie und sich selbst offenbarte sie Kostja in einem ausführlichen Brief: »Sie
     ist viel regsamer, lebhafter, lebensfreudiger und kindischer als ich. Bei jedem Blümlein auf der Wiese bleibt sie stehen,
     und obwohl sie kaum gehen kann, kniet sie nieder, um es zu pflücken, ist entzückt über die Kleeblume und das kleinste und
     einfachste Pflänzlein; auf diese Art bewegen wir uns immer zu unserer Bank, mit unzähligen Haltestellen, und ich verliere
     fast die Geduld. Eine lebendige Schnecke will sie unbedingt mit nach Warschau im Koffer nehmen und meint, es sei pure Bosheit
     von mir, wenn ich das für Wahnsinn erkläre. Am meisten freut sie sich an Farben in der Natur und macht mich zwanzigmal hintereinander
     auf irgendeine Baumgruppe mit verschiedenen Schattierungen des Grüns aufmerksam. Sie weiß sehr wenig vom wissenschaftlichen
     Sozialismus, beklagt sich aber bitter über meine Brüder, die feig sind und schon jeden Glauben an die Revolution verloren
     haben, während sie daran so fest glaubt wie ich; dabei ist sie so verrückt, daß sie eine Nr. unserer Parteirevue, die sie
     hier bei mir auf dem Tisch erwischt hat, unbedingt mit nach Warschau ›in der Tasche‹ nehmen will und macht große Augen, wenn
     ich ihr das verwehre. Schließlich ist sie so eine Plaudertasche und so zum Lachen geneigt, daß wir namentlich im Restaurant
     beide unausgesetzt lachen, kaum daß wir einander anschauen. Ich bin hier zum erstenmal mit ihr so, wie sie es verdient, denn
     immer war ich früher gereizt, ungeduldig, unausstehlich – es ist dies, weil ich erst ganz wieder ich bin, seit ich von L[eo
     Jogiches] frei bin. Und meine Schwester kann sich gar nicht mit dem Gedanken abfinden, daß jemand sich einmal um sie kümmert
     und ihr eine Freude machen will.« 217
    Rosa Luxemburg stand um 6.30 Uhr auf, ging dann sofort zu ihrer Schwester ins Zimmer und half ihr beim Aufstehen und |304| Ankleiden. 7.30 Uhr tranken sie beide Kaffee und gingen anschließend zum Strand. Die Nachmittage gestalteten sich ähnlich.
     Ohne Licht gingen sie abends 9.30 Uhr schlafen. Nicht immer konnte und wollte Rosa Luxemburg am Strand sitzen; zwischendurch
     las und schrieb sie. Ihrer Schwester bekam die Kur ausgezeichnet, und auch Rosa Luxemburg begann allmählich auszuspannen.
     »Gestern abend, nach Sonnenuntergang, war die See herrlich, silbergrau, darüber am Horizont eine breite dunkelblaue Dunstwand,
     aus der sich im Westen eine enorme Wolke lilagrau erhob, ganz senkrecht, und ihre Ränder leuchteten goldig-rosig; am Strand
     aber kräuselten mit dumpfem Geplätscher silberne Wellen, und darin spielten einige Kinder, deren leichte Silhouetten auf dem
     hellen Hintergrund tiefschwarz hervortraten. Ich stand direkt am Wasser, so daß mir die Welle die Schuhe naß machte, sog den
     scharfen Nordwind ein und dachte an mein Lieb, wollte Dich hier neben mir haben, nichts sprechen, nur auf Deinen Arm gestützt
     still betrachten. Dudu, mein Geliebter!« 218

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