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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Drei Tage vor Abfahrt badete sie das erste Mal in der Ostsee.
    Ihre Gedanken verweilten immer öfter bei Kostja, und im stillen dachte sie sich für die nächsten Wochen verlockende Ferienpläne
     aus. Vor Annas Rückreise verbrachten die beiden Frauen noch einige Tage in Berlin, um Einkäufe zu erledigen. Zu ihrer großen
     Verlegenheit mußte sich Rosa Luxemburg von Hugo Faisst und Hans Diefenbach je 1000 Mark borgen, um alle Kosten bestreiten
     und bis zum nächsten Parteischulhonorar auskommen zu können. Am 13. Juli begleitete sie ihre Schwester bis Thorn, kehrte am
     14. nach Berlin zurück, von wo aus sie so schnell wie möglich nach Stuttgart fahren wollte.
    Niedergeschlagen teilte sie Kostja jedoch noch am 14. Juli mit, daß Leo Jogiches sie auf ihrer Reise nach dem Süden begleiten
     wolle, »um, falls ich mit Dir zusammentreffe, Dich und sich zu erschießen. Kann ich unter solchen Umständen fahren? Ihm entweichen
     hier kann ich nicht, auch bäumt sich alles in mir auf, mich wie ein Sklave fortzuschleichen. Mit ihm ist kein Spaß mehr, der
     Mensch ist innerlich fertig, er ist abnorm, und er lebt nur noch mit dieser Idee fixe vor den Augen. Ich bin also schon wieder
     außer Rand und Band. Wenn ich mich auch glücklich fortschleichen würde, er kommt sicher |305| sofort zu Euch nach, und bilde Dir ja nicht ein, daß ihn irgend jemand von seinem Vorhaben abbringen könnte. Soll ich Dein
     Leben aufs Spiel setzen?« 219
    Die großen Ferienpläne schrumpften auf eine Stippvisite von ein paar Tagen in Stuttgart zusammen. Mitte August fuhr Leo Jogiches
     für einige Wochen in die Schweiz. Als er mit Rosa Luxemburg Geschäftliches wegen der polnischen Zeitschrift besprach und sich
     verabschiedete, war er sichtlich bemüht, sie nicht zu verletzen. 220
    Im Sommer 1908 belasteten Rosa Luxemburg zusätzlich Sorgen um die Gesundheit: Kostja Zetkin litt an Herzschwäche und wurde
     für militärdienstuntauglich befunden; bei ihr selbst wurde ein Herzklappenfehler entdeckt. Er möge ja den Arzt ordentlich
     konsultieren und dessen Ratschläge befolgen, bat sie ihn und drängte darauf, bei den Militärbehörden klare Entscheidungen
     einzuholen. Rosa Luxemburg wurde von Schmerzen geplagt, ermüdete rasch und kämpfte nachts gegen Herzstechen und Beklemmungen
     an. »Meine Nerven sind jetzt sehr gespannt«, schrieb sie am 22. August, »nachts kann ich nur einige Stunden schlafen vor Erregung,
     und bei Tag jagen Stimmungen, Hoffnung und Verzagen einander wie Wolken am Himmel.« 221

Ich war toll vor Freude und fing sofort an zu malen
    Aus dem Auf und Ab des körperlichen Befindens und der seelischen Stimmungslagen flüchtete Rosa Luxemburg in eine neue Leidenschaft:
     das Malen. Auf die Idee war sie gekommen, als sie im Juli 1908 während der Rückfahrt von Stuttgart nach Berlin ihre Reisegesellschaft
     zeichnete. »Wenn Du wüßtest, was ich erlebe!«, schwärmte sie am 4. August 1908 in einem Brief an Kostja Zetkin. »Ich sagte
     am Sonntag dem H[ans] K[autsky], daß ich Ölfarben haben möchte, nun ist heute von Wertheim alles gebracht worden: Staffelei,
     Pinsel, Farben. Ich war toll vor Freude und fing sofort an zu malen, ganz allein, ohne jede Unterweisung. Ich habe von 1 Uhr
     bis jetzt (4 Uhr) immerzu gemalt, und zwar kopiere ich das Bild von Volkmann: Wogendes Kornfeld, das im Schlafzimmer hängt.
     Ich will vorerst |306| nur ausprobieren, die Farben zu mischen. Und siehe: Es geht! Ich finde keine Schwierigkeiten, die Farben herauszukriegen,
     die ich brauche. Ganz stolz bin ich auf den blaßgrauen Himmel, den ich genau herausbekommen habe (aus vier Farben zusammen!).
     Das Bild ist fast fertig und gibt gute Perspektive.« 222
    Am 9. August begann ihr Kornfeld »schon zu wogen«. Sie war glücklich und prahlte. Ihren Kostja betörte sie: »Du allein gibst
     mir Mut zu dieser Verwegenheit.« 223 Als zwei Tage später das Bild fertig war, bezichtigte sie sich sogleich der Pfuscherei: »[…] vor lauter Luftfülle stehen
     meine Blümchen nicht auf der Erde, sondern in der Luft, dann habe ich erst bemerkt, daß, obwohl meine Kopie halb so groß ist
     wie jene an der Wand, meine Blümchen ebenso groß sind wie dort, was die Perspektive fälscht.« 224 Kostja Zetkin möge sie bitte nicht auslachen wegen ihrer ersten Pinselstriche im Leben und das Bild nicht aus der Nähe oder
     bei hellem Sonnenlicht betrachten, denn dann sähe es schauderhaft aus, und er solle es niemandem zeigen.
    Am 22. August 1908 fuhr sie an

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