Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
wußte sie vom Ende seiner Liebe zu ihr. Sie versuchte, sich in Abschiedsbriefen ihren Kummer
von der Seele zu schreiben, versicherte ihm, er bleibe ein geliebter Freund, solange er wolle. 252 In ihrem Brief vom 17. August heißt es: »Mein lieber Costia, es kostet mich eine Überwindung, Dir noch zu schreiben, aber
ich will doch, daß Du beim Abschied ebenso klar in mir siehst wie ich in Dir. Also ich habe es überwunden und bin ganz ruhig.
Mir ist, wie wenn seit Sonntag ein Jahr vergangen wäre; das Schwerste hatte ich schon überstanden, als Deine falschen Briefe
kamen, und als ich den letzten offenen las, da trat eine große Kälte und ein Weh in mein Herz, aber doch auch eine große Ruhe.
Es kam so, wie ich Dir am Anfang sagte: Du hast mich durch Deine Liebe gezwungen, Dich zu lieben, und als Deine Liebe in nichts
zerrann, da war es auch um meine geschehen. Mich schmerzte, daß ich Dich nicht früher von der Last befreite, mich schmerzt
die Erinnerung an die bösen und gequälten Blicke eines gefangenen Vögelchens, aber ich wagte nie das erlösende Wort zu sprechen,
weil ich innerlich unser Verhältnis als eine heilige und ernste Sache hielt. Armer Junge, Du hieltest Dich für gefangen, während
Dich ein kleines leises Wörtlein jeden Augenblick frei machen konnte, wie Du ja jetzt siehst, während in Wirklichkeit ich
die Gefangene war, weil mich die Erinnerung an ein leises Stammeln im kleinen Zimmer: ›Bleib mir doch treu, bleib mir treu‹,
und ein Flehen im Briefe: ›Verlaß mich nicht, verlaß mich nicht!‹ wie mit eisernen Ketten hielt. Das Stammeln eines kleinen
holden Knaben hielt mein Herz fest, auch als mich Dein unglückliches Aussehen unsäglich marterte, als mich in Genua in schlaflosen
Nächten die Unklarheit Deines Verhältnisses zu mir würgte. Aber ich habe doch einen süßen Trost darin, daß ich des Knaben
Wunsch erfüllt habe: Ich war ihm treu bis zu Ende, und niemals, niemals hat ihn von mir ein Blick oder auch der verborgenste
Gedanke lauernd oder spitz getroffen. Nun, es ist überwunden. Ich bin mit Lust und Liebe an der Arbeit und bin entschlossen,
noch mehr Strenge, Klarheit und Keuschheit in mein Leben zu bringen. Diese Lebensauffassung |321| ist in mir gereift im Verkehr mit Dir, deshalb gehören diese Worte noch Dir. Nun bist Du frei wie ein Vögelchen, sei doch
auch glücklich. Die Principuccia steht Dir nicht mehr im Wege. Leb wohl, die Nachtigallen des Apennin singen Dir, und die
breithörnigen Ochsen des Kaukasus grüßen Dich.« 253
Rosa Luxemburgs und Kostja Zetkins Liebe erlosch, weil sie nach Lebensart, Geist und Talent zu verschieden waren. Kostja Zetkin
war oft verschlossen und düster. Auch sein Freund Hugo Faisst meinte, Kostja werde unbefriedigt und unglücklich bleiben, wenn
er nicht endlich einen Beruf fände und ausübe, der ihn erfülle und zu Selbständigkeit verhelfe. Rosa Luxemburg versuchte,
Kostja zu überreden, das ihm von Heinrich Schulz angebotene Lehramt an der Parteischule in Berlin anzunehmen. Sie bemühte
sich, ihn aufzuheitern, ihm Selbstvertrauen und Mut zu geben, seine literarischen und wissenschaftlichen Interessen zu fördern.
»Bitte nenne mich nicht mehr ›Liebe‹«, schrieb sie ihm am 28. September 1909. »Du hast ja das Recht dazu bei Zigarettenrauchen
und Schach verspielt. Du batest um Freundschaft, und ich werde sie Dir halten, aber bringe keine Töne hinein, die für mich
wie eine Lüge klingen.« 254
Zurück in Berlin, schirmte sich Rosa Luxemburg erst einmal völlig von der Außenwelt ab, mied alle Kontakte und schickte selbst
die Haushälterin Gertrud Zlottko weg, weil sie ihr nichts mehr tauge und mit ihrem Geschwätz auf die Nerven gehe. Weder nahm
sie die Einladung an die russische Parteischule auf Capri an, die ihr von Gorki, Bogdanow und Lunatscharski angetragen worden
war, noch fuhr sie zum Parteitag nach Leipzig, und für einen Artikel wollte ihr auch nichts Rechtes einfallen. »Warum tut
Dir weh, daß ich in mich gekehrt lebe?«, fragte sie Kostja Zetkin. »Ist das nicht das einzige, um Ruhe und Kraft zu bewahren,
da die äußeren Eindrücke meist verletzend sind? Ich fühle mich jetzt nur glücklich, wenn ich ganz allein still zu Hause sitzen
und arbeiten kann.« 255 »Mir graut vor der Begegnung mit Menschen. Ich möchte nur unter Tieren wohnen.« 256
Als sie ab Anfang Oktober 1909 im neuen Kursus vor den Hörern der Parteischule stand, überwand Rosa Luxemburg
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