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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Seiten für die Artikelfolge »Die
     Nationalitätenfrage und die Autonomie« an Leo Jogiches. Er sollte Marchlewski und Karl Radek bitten, fehlende Zitate einzufügen
     und Fakten zu überprüfen. Endlich konnte sie Clara Zetkin melden, daß ihre ökonomische Arbeit jetzt bald in Druck gehen werde.
     »Es ist aber keine Wirtschaftsgeschichte, Klärchen, wie Du dachtest, sondern eine kurze Analyse der Nationalökonomie, also
     der kapitalistischen Produktion. Eine Wirtschaftsgeschichte sollte Dein Kleiner [Kostja Zetkin] schreiben; ich stachle ihn
     schon lange dazu auf. Zu dem Zwecke ist auch die Kolonialgeschichte und die Kartelle, die er studiert hat, gut. Ob er aber
     – wissen die Götter und seine souveräne Laune.« 244
    In der zweiten Junihälfte fühlte sie sich elend und bereitete ihre Rückreise vor. Ob und wie lange sich Kostja Zetkin und
     Rosa Luxemburg in Zürich und Levanto trafen, läßt sich nicht feststellen. Briefe aus diesen Orten an ihn sind nicht vorhanden,
     vermutlich war Rosa Luxemburg aber in jenen Wochen auch oft deshalb mißgelaunt, weil sie Alleinsein und bloßes Arbeiten über
     längere Zeit unausstehlich fand – zumal in der Sonne und Wärme ihres geliebten Italiens.

Jeder handelt ja nach seinem eigenen »Ich«
    Als Hans Kautsky, um diese Zeit ebenfalls in Italien, ihr wieder einmal seinen »Weiberjammer« klagte, schrieb sie ihm verständnisvoll
     aus eigener Erfahrung: »Jeder handelt ja nach seinem eigenen ›Ich‹« 245 . Da er mit seinen Söhnen Fritz und Karl sowie der Familie seines Bruders anschließend wie schon öfter Ferien in der Schweiz
     verbrachte, »bei Bauern mitten im Familienrummel, mit Flöhen, Wanzen und Gestank« 246 , traf Rosa Luxemburg Anfang Juli mit ihnen in Gersau zusammen. Sie konnte – mit verständnisvollem Respekt – beobachten, wie
     die Beziehung zwischen Luise und Hans immer inniger wurde. Fast täglich mußte sie jedoch die daraus entstehenden familiären |319| Konflikte zwischen Luise und Karl Kautsky miterleben. Karl Kautsky, der immer ungenießbarer werde und innerlich vertrockne,
     grolle ihr, »weil er glaubt, ich stecke irgendwie hinter den Beziehungen L[uise]s zu Hans. Das kränkt mich, aber ich bin zu
     stolz, um ein Wort zu reden.« 247
    In der Schweiz arbeitete Rosa Luxemburg weniger als in den letzten zweieinhalb Monaten. Sie ging morgens genüßlich spazieren,
     las und schrieb, fühlte sich innerlich aber unruhig. Am 21. Juli schrieb sie aus Engelberg, 1 000 m hoch, unter Schneegipfeln,
     auf dem Weg nach Terzen. Am 22. Juli kam die Post aus Quarten (St. Gallen). Die ländlichere Gegend behagte ihr mehr. Quarten
     lag fast 600 m hoch, ca. 150 m über dem See, mitten in ansteigenden Wiesen. Die Luft war viel besser als in Gersau.
    Nach mehreren Regentagen, die sie wieder zum Arbeiten zwangen, um nicht ständig mit der Gens Kautsky herumzusitzen, schrieb
     sie am 6. August an Kostja Zetkin: »Heute nacht um 2 weckte mich ein heftiger Herzschmerz, ich ging auf den Balkon – tiefe
     Stille herrschte über allem, die Berge standen geheimnisvoll im Silberduft des unsichtbaren Mondes, und oben strahlten grell
     und schweigsam unzählige Sterne, der See unten schien wie erstarrt. Es war so schön und so – einsam … Ich küsse Dich.« 248
    Am 9. August fuhren Kautskys ab. Nach und nach verschwanden die letzten Kurgäste. Rosa Luxemburg tat die Ruhe wohl, sie genoß
     den Heuduft, den Anblick der Churfirsten, doch sie wurde ihre innere Unruhe nicht mehr los. Die Sorge über das Verhältnis
     zu Kostja Zetkin bohrte schmerzhafte Wunden. Der »Junge« ließ sich nicht so formen, wie sie es wollte. Der Geliebte wurde
     spröde. Sie konnte von den Tagen in Italien, dem Nachtigallenkonzert, dem letzten herrlichen Spaziergang von principuccio
     und principuccia und der von beiden so geliebten Mozartschen Musik noch so schwärmen, er erwiderte nicht wie erhofft. Überhaupt
     schrieb er in letzter Zeit »so kalt und so mechanisch nur alle zwei Tage« 249 . Eine Weile stimmte sie sich auf seinen Ton ein, weil sie seinen Wutausbruch fürchtete. Jeder Brief gab ihr einen tödlichen
     Stich ins Herz. »Was macht Niuniu? […] Hat er mich nicht mehr lieb?« 250 fragte sie am 13. August 1909. In einem zweiten Brief an diesem Tag drängte |320| sie: »Wenn Du mich nicht mehr liebst, so sag es mir offen mit drei Worten.« 251 Einmal müsse es ja so kommen. Zum letzten Mal küßte sie ihn, ihren teuren, süßen Schatz.
    Ab Sonntag, den 15. August 1909,

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