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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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erfahren.« 58 Demokratie im Sinne wahrer Volksherrschaft gehörte für Rosa Luxemburg zu den unverzichtbaren Zielen im Kampf gegen Monarchie
     und Kapital.
    Karl Kautsky jedoch stritt mit ihr nicht über den Gehalt ihrer Vorstellungen von Demokratie und demokratischer Republik. Der
     geachtete Theoretiker rechtete vorwiegend darüber, ob es opportun sei, die demokratische Republik zu diesem Zeitpunkt als
     Losung zu propagieren.
    Seine Ideologie des ›marxistischen Zentrums‹, die als Zentrismus |350| in die Literatur einging, brachte Rosa Luxemburg in »Wallung« 59 . Schonungslos enthüllte sie, wie unangebracht und dogmatisch seine Zurückhaltung und Bevormundung waren, wie kraß Theorie
     und Praxis bei ihm auseinanderklafften. Dafür gebe es nur eine Kennzeichnung: »Himmelstürmende Theorie – und ›Ermattung‹ in
     der Praxis, revolutionäre Perspektiven in den Wolken – und Reichstagsmandate als einzige Perspektive in der Wirklichkeit.« 60 Rosa Luxemburg wies nach, daß seine Ablehnung des politischen Massenstreiks wie der Losung der demokratischen Republik, die
     er als Inkarnation der Auffassungen des »marxistischen Zentrums« in der Partei ausgab, weder dem Vermächtnis von Karl Marx
     und Friedrich Engels noch der Programmatik der Sozialdemokratie entsprach, sondern ausschließlich der theoretischen Rechtfertigung
     des Nurparlamentarismus, des Sozialreformismus sowie der Abwiegelung der Massenbewegung diente. »Daß selbst unsere Besten
     die Lehren der russischen Revolution tatsächlich gar nicht verdaut haben« 61 und sich auch ihr bisheriger Freund und politischer Kampfgefährte Karl Kautsky so »bös hineinritt«, betrachtete Rosa Luxemburg
     als »eine für den Radikalismus sehr peinliche Sache«. Ein Gutes könnte sein, »daß unsere Leute lernen werden, selbst mehr
     zu denken und weniger auf Autoritäten zu schwören und nachzubeten« 62 .
    Karl Kautsky wollte Rosa Luxemburgs Artikel »Die Theorie und die Praxis« zunächst nicht annehmen, weil die von ihr zitierten
     und verwendeten Dokumente »Parteiinterna« beträfen. 63 Am 15. Juli erhielt sie ihr Manuskript per Post das dritte Mal zurück. Die Budgetbewilligung durch die Mehrheit der sozialdemokratischen
     Fraktion im badischen Landtag am 14. Juli 1910 kam Kautsky zupaß, um vom Streit mit Rosa Luxemburg abzulenken. Obwohl sie
     wie die meisten Sozialdemokraten über diesen neuerlichen Verstoß gegen Parteibeschlüsse erzürnt war, stimmte sie nicht zu,
     daß die Veröffentlichung ihres Artikels deshalb hinausgeschoben werde. Mit Kautsky habe sie »einen wahren Skandal« 64 , er sei »wütend wegen der Prügel, die er bekommt, deshalb rächt er sich« 65 .
    Endlich lenkte der einstige politische Weggefährte ein: »Lieber Freund«, schrieb er an Franz Mehring am 16. Juli, »wir sind
     schmählich unterlegen. Rosa droht mit einem solchen Heidenskandal, |351| daß wir es für klüger hielten, nicht noch neue Streitpunkte zu schaffen. Ihr [Rosas] Artikel erscheint also in nächster Nummer.
     Nun muß ich natürlich auch gegen sie zu Felde ziehen. Habeat sibi […] Rosa soll wie eine Furie getobt haben.« 66
    Hans Diefenbach, der Rosa Luxemburg mit seinem Studienfreund Gerlach oft besuchte, wollte Karl Kautsky besänftigen. Er hob
     ausdrücklich hervor, daß er von Rosa Luxemburg dazu nicht autorisiert sei und »höchstens wegen meiner Ungeschicklichkeit den
     Kopf gewaschen bekäme«. Für ihn stehe fest, daß »auch in der Polemik zwischen Freunden einmal ein paar Artikel lang die Späne
     einander um die Ohren fliegen dürfen«. In dem mehrseitigen Brief bemühte er sich, einige Mißverständnisse auszuräumen und
     zu begründen, warum auch der 2. Teil des Artikels »Die Theorie und die Praxis« veröffentlicht werden sollte. »Schließlich
     meine ich: Sie haben doch Rosas Temperament u. Leidenschaft, ihr ›Alles oder Nichts‹, ihre Rücksichtslosigkeit in großen Fragen,
     d. h. in Fragen, die ihr, wenn auch vielleicht nicht Ihnen, groß dünkten, wie etwa die Lehren der russischen Revolution, ihre
     ›Maßlosigkeit‹ in der ›Niederwerfungsstrategie‹ ganz genau gekannt u. sicher auch manchmal bewundert, also meine ich, Sie
     sollten ihr diese ›Seelengröße‹, wie Sie es nennen, jetzt nicht plötzlich zur Infamie u. Perfidie anrechnen, weil sie sich
     aus sachlichen Differenzen heraus jetzt einmal dergestalt gegen einen Freund gewandt hat. Von ihrem Herzen haben Sie andererseits
     auch schon oft genug Proben gesehen.

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