Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Daß R. überhaupt nicht anders als scharf, schonungslos u. mit der gewissen Sorte von
gefährlichem Esprit, der nach spanischem Fliegensaft schmeckt, polemisieren kann, ist bei ihr selbstverständlich.« Der angehende
Arzt wandte sich gegen einen untauglichen Vergleich Kautskys: »Sie stellen den auch von mir geschätzten Pannekoek als das
Muster eines Gegners in der Polemik für R. auf! Das kommt mir vor, als wollten Sie einen niederdeutschen Ackergaul dafür belehren,
weil er nicht mit Hörnern auf Sie losgeht, oder einen Regenwurm, weil er Sie nicht sticht. P. pflügt gleichmäßig, solid u.
ohne Leidenschaft. R. arbeitet explosiv u. genial, so daß die Funken stieben u. einem gelegentlich die Finger verbrennen,
wie wollen Sie diesen Pegasus mit dem guten Pannekoek ins Joch spannen!?« 67
|352| Karl Kautsky ging die ganze Angelegenheit arg an die Nerven. Er wurde krank und zog sich zurück. In seinem Artikel »Zwischen
Baden und Luxemburg« vom 5. August behauptete er noch einmal – zugunsten des »marxistischen Zentrums« akzentuiert: Die Sozialdemokratie
werde zwischen Baden und Luxemburg zum Siege marschieren. »Wenn wir auf der Landkarte die Großherzogtümer Baden und Luxemburg
ansehen, finden wir, daß zwischen ihnen Trier liegt, die Stadt, aus der Karl Marx hervorging. Geht man von dort nach links
über die Grenze, so kommt man nach Luxemburg. Geht man stark nach rechts bis über den Rhein, so erreicht man Baden. Die Lage
auf der Landkarte ist heute ein Symbol der Lage der deutschen Sozialdemokratie.« 68
Die Auseinandersetzungen nahmen kein Ende. Immer wieder gab es Wortmeldungen. Ende Juli schrieb die sozialdemokratische Zeitung
»Tribüne« in Erfurt: »Die sonnenklare Agitation für die Republik, für die ›Republique sans phrase‹, muß neu belebt werden.
In jedem Arbeiter und zweimal in jedem parlamentarischen Vertreter des Proletariats muß das republikanische Bewußtsein und
der republikanische Trotz ständig so wach sein, daß er allen monarchistischen Kundgebungen, wo und wann sie auftauchen, mit
kühlem Lächeln die Stirn bietet. Die Sozialdemokratie darf ihre Idee von der Staatsform der Zukunft nicht wie ein illegitimes
Kind errötend hinter ihren Röcken verbergen. Sie ist republikanisch vom Scheitel bis zur Sohle. Und was sie ist, das wage
sie zu scheinen!« Die »Deutsche Tageszeitung« kommentierte: »Das ist der Stil, die Sprache und der ›Geist‹ der Rosa Luxemburg.« 69
Die Polemik zwischen Rosa Luxemburg und Karl Kautsky war inhaltlich motiviert, wurde aber, da sich die Beteiligten sehr genau
kannten, persönlich ausgereizt. An ihr zerbrach die über zehn Jahre bestehende Freundschaft der beiden. »Sieh Dir die liebe
Rosa an«, schrieb Victor Adler an August Bebel am 5. August 1910. »Ich habe ja Gemeinheit genug in mir um einige Schadenfreude
daran zu haben, was Karl jetzt an seiner Freundin erlebt – aber es ist wirklich arg – das giftige Luder wird noch sehr viel
Schaden anrichten, um so größeren, weil sie blitzgescheit ist, wärend [sic] ihr jedes Gefühl für Verantwortung vollständig
felt [sic] u. ihr einziges Motiv eine geradezu |353| perverse Rechthaberei ist. Stell Dir vor, Klara hätte ihr Mandat schon u. säße mit Rosa im Reichstag!! Da würdet Ihr erst
was erleben, dagegen die Badenserei der reine Genuß wäre – – –«. 70 Am 16. August antwortete August Bebel aus Zürich: »Die Rosarei ist nicht so schlimm wie Du denkst. Trotz aller Giftmischerei
möchte ich das Frauenzimmer in der Partei nicht missen […] Natürlich lacht alle Welt über den Conflikt zwischen Rosa u. Karl,
die man für eine Art siamesischer Zwillinge hielt. Karl schreibt mir aber, daß er froh sei daß dieser Glaube zerstört wurde,
er habe schon lange darunter gelitten, daß man ihn mit dem Rosaschen Impossibilismus verwechselt habe.« 71
Alle waren schon im Urlaub oder fuhren gerade in die Ferien. Auch Rosa Luxemburg packte die Koffer und reiste am 23. Juli
1910 in die Schweiz nach Aeschi am Thuner See, wo sie bis zum 14. August blieb. Kurz zuvor hatte sie Kostja Zetkin geschrieben:
»Das einzig Schöne, was ich mir vom Leben noch verspreche, ist Reisen in ganz entlegenen Ländern: Kaukasus, Südafrika, Zentralasien.
Ich will zu diesem Zwecke Geld zusammenscharren und mit dieser Hoffnung arbeiten; denn an sich ist mir das ganze Leben hier
völlig gleichgültig.« 72 Rosa Luxemburg übertrieb, denn sie verfolgte natürlich
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