Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
gespannt die Presse und interessierte sich für das Parteileben der
Deutschen, Polen und Russen. »Zum Malen habe ich nichts mitgenommen. Ich fuhr weg, so kaputt und herunter, daß ich nicht ans
Malen zu denken wagte, und ich habe ja nur lumpige drei Wochen zu ›Ferien‹, in denen ich auch noch immerzu Artikel schmieren
muß (gegen die Badenser, den Mehring und auch polnische).« 73 Zu ihrem Verdruß nahmen der »Vorwärts« und die »Neue Zeit« die Artikel »Der Kampf gegen Reliquien« und »Die badische Budgetbewilligung«
nicht ab. »Sie wollen mich mundtot machen!«, beurteilte sie die neuen Scherereien. »Aber mach Dir nichts daraus«, schrieb
sie Kostja Zetkin, »ich muß doch allein auskommen, wie immer.« 74 Einige Tage später brachten die »Leipziger Volkszeitung« und die »Bremer Bürger-Zeitung« ihre Artikel, 75 nachdem sie eifrig um Clara Zetkins und Konrad Haenischs Hilfe ersucht hatte. Ihr bitteres Fazit der Affäre lautete: »In
unserer Partei darf man nicht zu siegreich sein, denn das verzeihen sie niemand. Ohnehin rächt sich an mir der deutsche Grundsatz:
vae victoribus! Um so mehr, als die Vernichtung K. K.s weder |354| der Partei im ganzen noch dem Radikalismus Freude bereitet.« 76 Unter dem Begriff »Radikalismus« verstand Rosa Luxemburg wie andere Linke nach wie vor alle revolutionären Kräfte in der
Sozialdemokratie, die sich nicht auf einen ausschließlich sozialreformerischen Anpassungskurs abdrängen und dem sozialistischen
Ziel nicht abschwören wollten. Ein langersehntes Lebenszeichen von Luise Kautsky, das sie am 9. August 1910 in Aeschi erhielt,
stimmte sie da schon glücklicher. Rosa Luxemburg antwortete, Luise möge sich ihre Heiterkeit bewahren. Zu ihr werde sie stets
halten. 77
Daß ich dabei Nerven, Herz
und alle Depressionen vergesse
Am Sonntag, dem 14. August, war Rosa Luxemburg wieder in Berlin. Es hatte sie schon während der letzten Ferientage beunruhigt,
daß auf die badischen Budgetbewilliger nur aus der Ferne geschimpft wurde. Den Leuten müßte man doch direkt auf ihrem eigenen
Boden entgegentreten, dachte sie und folgte der Einladung von Adolf Geck, eines im Badischen angesehenen sozialdemokratischen
Funktionärs der Bebelschen Generation. Am 21. August traf sie zum Abschluß des Parteitages der badischen Sozialdemokratie
in Offenburg ein. Sie wohnte bei Marie und Adolf Geck. Bis zum 24. August sprach sie zum Thema »Sozialdemokratie, Budget und
Monarchie« auf Versammlungen in Offenburg, Lahr, Durlach und Pforzheim. Die Organisation klappte sehr gut. Einige Wochen später
wiederholte sie die Tour und trat vom 10. bis 12. September in Schopfheim, Karlsruhe, Lörrach und Mannheim auf. Bei Gecks
fühlte sie sich sehr wohl. Sohn Brandel sei ihr großer Freund. »Adolf Geck sang mir jeden Tag ›Wer ein Liebchen hat gefunden‹
vor, als wir mit der Versammlung fertig waren. Das war das Versöhnende. Sie musizieren dort alle, freilich etwas zigeunerhaft.
Eins von den Geckschen Mädchen ist eine vollkommene Schönheit, ich sehe es immer vor mir.« 78 Gleichzeitig gab sie frank und frei zu, wie ihr vor dem Internationalen Sozialistenkongeß in Kopenhagen graute, »vor den
Menschen, dem Trubel«, wie gewöhnlich nach anstrengenden Versammlungstouren sei ihr |355| »von der Berührung mit der Masse fremder Menschen schlecht« 79 . In diesen Worten kam neben ihrer Eigenart, sich abzureagieren, ein besonderes Unbehagen zum Ausdruck. Die Auseinandersetzungen
der letzten Monate hatten ihre Nerven bedenklich strapaziert. Sie begann zu zweifeln, daß sie in der Partei viel ändern könne.
Im Frühjahr hatte sie mit Vorfreude auf die Herbsttagungen geschaut, jetzt verdrossen sie düstere Vorahnungen, wenn sie beobachtete,
wie auf dem rechten und linken Flügel der Partei eine Sonderberatung nach der anderen ablief und die Linken vermutlich schon
im Hintertreffen waren. In der Partei wurde jetzt zunehmend von den Revisionisten oder Reformisten als den Rechten und von
den Revolutionären oder Radikalen als den Linken gesprochen. Marxisten wie Kautsky betrachteten sich als Mitte oder Zentrum
und suchten zwischen vermeintlichen Extremen zu vermitteln.
Im Widerstreit mit den Genossen, die als Budgetbewilliger um die »Gleichberechtigung« im bürgerlichen Staate buhlten und zur
gleichen Zeit vorgaben, im Kampf gegen Preußen mit Rosa Luxemburg einer Meinung zu sein, stellte sie klar: Wer Sozialdemokrat
sein will, Kämpfer
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