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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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die bei der Polemik auch Ihnen selbst nicht ganz fremd sind, machen.« 46
    Um sich vom Schreiben des Artikels zu erholen und bis zu seinem Erscheinen abzulenken, widmete sich Rosa Luxemburg |346| wieder einmal ihren Vergnügungen: Sie malte, porträtierte in Öl, u. a. Hans Kautskys Tochter Gretel und deren Freundin aus
     Triest, unternahm allein und in Gesellschaft Ausflüge an Berliner Seen, besuchte Ausstellungen, verglich ihre »Patzereien«
     mit Künstlerwerken, las Stendhal und Tolstoi, Reiseliteratur über Kleinasien und China und spielte mit ihrer Katze Mimi, die
     sie abgöttisch liebte und die »ausgelassen wie ein kleiner Teufi« um sie herumtobte. 47
    Rosa Luxemburg hatte befürchtet, daß ihre Antwort an Kautsky »zu scharf« sei. »Offensichtlich sitzt sie«, denn er sei wütend,
     schrieb sie am 27. Mai. 48 Ihr Verhältnis zu Luise Kautsky sei ungetrübt, sie verkehre weiterhin in ihrem Hause, um gelegentlich in einer Familie zu
     sein, versicherte sie Leo Jogiches. Und Kostja Zetkin berichtete sie: »Gestern spielte H[ans] K[autsky] Beethoven vor, namentlich
     die Pathétique, die seine Lieblingssonate ist, er war auch gut bei Stimmung. Selten hat ein Stück auf mich einen so tiefen
     Eindruck gemacht: der zweite Satz ist einfach kolossal, der Kerl ist groß wie die Welt, nur daß es eine einseitige, düstere,
     wehmütige, grüblerische Unterwelt ist, während Mozart ein Gott auf sonnigen Höhen ist. H[ans] K[autsky] mußte mir den zweiten
     Satz zweimal vorspielen, ich war von der Musik sehr ergriffen und ging gleich darauf nach Hause, um mir den Eindruck nicht
     durch Geschwätz zu zerstören. Ich versprach mir, künftig etwas mehr Beethoven zu beachten.« 49
    Frohsinn und Sicherheit gewann sie wieder, als sie erfuhr, wie groß und wie zustimmend das Echo auf ihren Artikel war. Triumphierend
     schrieb sie an Leo Jogiches: »Meinen Artikel in der ›Neuen Zeit‹ haben bisher abgedruckt die ›Leipziger Volkszeitung‹. Die
     Essener [›Arbeiterzeitung‹], die Solinger [›Bergische Arbeiterstimme‹], der Braunschweiger [›Volksfreund‹], die Frankfurter
     [›Volksstimme‹] in einer Zusammenfassung. In Braunschweig fand eine große Versammlung mit Diskussion über die Taktik statt,
     der Referent und alle Redner bekannten sich zu mir. Die Dortmunder [›Arbeiter-Zeitung‹] wird ihn jetzt abdrucken, sie brachte
     mir brieflich ihre Freude über den Artikel zum Ausdruck.« 50
    Ihre Beziehungen zu Leo Jogiches belebten sich: Unumwunden seinen Rat einzuholen und seine Meinung zu brennenden |347| Problemen der polnischen, russischen und deutschen Arbeiterbewegung zu erfragen, mit ihm über Eindrücke und Erlebnisse zu
     korrespondieren wurde wie früher wieder selbstverständlich. Nur die Liebe konnte nicht neu aufleben; Leo Jogiches hatte sich
     wahrscheinlich mit einer anderen Frau liiert. 51
    Karl Kautsky antwortete Rosa Luxemburg erneut sehr polemisch. »Eine neue Strategie« betitelte er seine Erwiderungsserie, die
     ab 10. Juni in der »Neuen Zeit« erschien. Abermals versuchte er zu belegen, daß er keineswegs gegen den politischen Massenstreik
     oder gegen den republikanischen Standpunkt der Partei sei. Er schätze aber die gegenwärtige Situation völlig anders ein als
     sie und entdecke bei ihr eine Menge Widersprüche. Er wisse eigentlich nicht, ob sie den Massenstreik nur erörtern oder anwenden
     wolle. Außerdem sei es ihm egal, ob er als Bremse oder als Peitsche wirke. Doch wenn es so wäre, wie Rosa Luxemburg meine,
     daß Massenbewegungen alle Führer über den Haufen werfen könnten, frage er sich, warum diese Bewegung dann vor ihm als einzelnem
     Theoretiker haltmache. Sein Fazit: Von Rosa Luxemburgs neuer Strategie bliebe nichts übrig als ein Bündel Fragenzeichen. 52
    Über Karl Kautsky rege sie sich kein bißchen auf, schrieb sie Kostja Zetkin, an ihr liege es nicht, wenn er sich blamiere. 53 Sie werde Kautsky antworten, kurz und treffend. Es sei ihre Parteipflicht, betonte sie gegenüber Konrad Haenisch, »jetzt
     mit rücksichtsloser Offenheit vorzugehen« 54 . Mit Leo Jogiches beriet sie im Detail das Für und Wider ihres Reagierens. 55
    Nach tagelangem Zögern entschloß sich Rosa Luxemburg, Kautskys Forderung aus seinem Brief vom Frühjahr zu zitieren, sie solle
     auf die Republiklosung verzichten. Sie bezog auch Materialien ein, die das offizielle Verbot der Massenstreikdiskussion und
     das Hin und Her über ihre Vorschläge zur weiteren Taktik dokumentierten. Ihr

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