Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
voranbringen.
Im Sommer 1910 verfolgte Frank dieses Ziel weiter: Er organisierte am 8. August in München ein Treffen badischer und bayrischer
Delegierter und bemühte sich, mit Unterstützung von Bernstein und Südekum die Vorbereitung des Internationalen Sozialistenkongresses
zu beeinflussen. In Kopenhagen sollte die badische Budgetbewilligung als mögliche sozialdemokratische Taktik sanktioniert
und somit die deutsche Sozialdemokratie vor ihrem Parteitag in Magdeburg vor vollendete Tatsachen gestellt werden. 85
Wo ich ohnehin kaum Kräfte habe,
mich hierher zu schleppen
Unmittelbar nach ihrer ersten Agitationstour in Baden fuhr Rosa Luxemburg am 28. August 1910 zum Internationalen Sozialistenkongreß
nach Kopenhagen. Für die zuvor stattfindende Sitzung des Internationalen Sozialistischen Büros hatte sie sich entschuldigt.
Wie stets, wenn sie an einem ihr unbekannten Ort ankam, nahm sie sich Zeit, erste Eindrücke zu skizzieren: »Kopenhagen ist
eine sehr schöne Stadt, Du mußt bei der ersten Möglichkeit her«, schrieb sie an Kostja Zetkin |358| am 30. August. »Die Häuser sind alle meist zweistöckig und nur einige Fenster breit, alles in vornehm dunklen grauen Farben,
das Auge ruht in dieser Stadt aus, und alles trägt einen ehrwürdigen, patrizischen Charakter. Man fühlt sich in die Zeiten
der Hanse versetzt. Ein großartiger Park liegt fast direkt am Wasser mit Aussicht auf den Hafen und das offene Meer, im Park
ein feines großes Bronzedenkmal, ganz dunkelgrau, das eine weibliche Figur darstellt, die mit vier wilden Büffeln pflügt,
alles mitten im aufspritzenden Wasser. Das ist die Darstellung der Mythe, wonach die Insel Seeland, auf der Kopenhagen steht,
aus dem Meer herausgepflügt worden ist. Ich konnte mich an dem Brunnen nicht satt sehen, so viel Kraft und Bewegung liegt
in dieser Gruppe. – Die Verhandlungen des Kongresses sind nichtig und zwecklos. Ich habe ein starkes Gefühl der Öde und Sinnlosigkeit
hier.« 86
1910 gehörten der II. Internationale 33 nationale Parteien und Organisationen aus Europa, Nord- und Südamerika, Australien,
Japan und Südafrika an, die acht Millionen Mitglieder vertraten. Zum Kongreß kamen 896 Delegierte aus 23 Ländern. Sie erörterten
vor allem folgende Probleme: die Beziehungen zwischen Genossenschaften und politischen Parteien; die Arbeitslosenfrage und
die Arbeiterschutzgesetzgebung; den Kampf gegen Militarismus und Krieg; die Organisierung der internationalen Solidarität;
die Einheit der Parteien und der Gewerkschaftsbewegung.
Rosa Luxemburg entwarf drei Dokumente:
die Resolution gegen die Unterdrückung des Generalstreiks in Barcelona 1909 und den Justizmord an Francisco Ferrer, die sie
mit Jean Longuet einbrachte und die einstimmig angenommen wurde; 87
die Resolution gegen die Todesstrafe, die Clara Zetkin im Namen der deutschen Delegation unterbreitete; 88
die Protestnote an den Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gegen die Einmischung in russische Parteiangelegenheiten.
Dieser von Lenin, Plechanow und Adolf Warski unterzeichnete Text wandte sich insbesondere gegen die Publikation eines Artikels
von Leo Trotzki im »Vorwärts« am 28. August 1910. Trotzki habe die Probleme in der SDAPR verzerrt dargestellt. Weiter hieß
es: »Die |359| Schaffung der Einigkeit in der Sozialdemokratischen Partei Rußlands ist und bleibt die schwerste und wichtigste Aufgabe aller
Genossen in Rußland und namentlich der Zentralinstitutionen der Partei. Es ist klar, daß im Interesse der Aufrechterhaltung
der Einigkeit alles vermieden werden sollte, was den inneren Zwist zu schüren geeignet ist. Das Herauszerren der russischen
Fraktionskämpfe in die deutsche Presse kann offenbar nur Öl ins Feuer gießen, den Zwist verschärfen und verbittern.« 89
Die Stellungnahme war u. a. Resultat einer von Lenin angeregten Beratung, an der auch Rosa Luxemburg teilnahm. Seit dem Stuttgarter
Kongreß 1907 war sie mit ihm mehrmals zusammengetroffen. Zur Erinnerung an ihr Gespräch über Ernst Mach hatte er ihr am 17.
Mai 1909 eines der ersten Exemplare seines Buches »Materialismus und Empiriokritizismus« gesandt und sie gebeten, es in der
»Neuen Zeit« anzuzeigen. Die Ankündigung erschien am 8. Oktober in der Rubrik »Bibliographie des Sozialismus«, nachdem es
Rosa Luxemburg nicht gelungen war, einen Rezensenten zu finden. Die Auseinandersetzungen innerhalb der SDAPR 1909 sollten
ihrer
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