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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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begann, fragte Clara Zetkin zornig: »Um welchen Preis, auf welchem Boden wollen wir die Geschlossenheit?
     Wollen wir sie durch einen Schritt nach rechts, auf dem Flugsand der Konzessionspolitik, der Konjunkturalpolitik mit Wenn
     und Aber, oder wollen wir sie auf dem festen Granit der prinzipiellen Auffassung, auf dem die Sozialdemokratie bis jetzt gestanden
     hat, auf dem sie noch steht und auf dem sie stehen muß, wenn sie bleiben will, was sie ist: der politische Ausdruck, die politische
     Organisation der kämpfenden, revolutionären Arbeiterklasse.« 101
    Der Magdeburger Parteitag gab mit seiner widersprüchlichen Bilanz – relativ einheitliche Phalanx gegen die Budgetbewilligung,
     aber auch gegen einen der neuen Situation entsprechenden Massenstreikbeschluß – keine klare Antwort auf die auch Rosa Luxemburg
     bewegende Frage ihrer Freundin Clara. Allgemeine Unklarheit über das Ausmaß der Divergenzen zwischen Rechten, Linken und Zentristen
     im Richtungskampf der Partei und Furcht vor einer Spaltung ließen die Partei auf der Stelle treten. Der Parteitag stellte
     keine neuen Aufgaben, erschloß keine neuen Kampfmethoden und beschritt keine neuen Wege, um Übereinstimmung zwischen theoretischen
     Ansichten und praktischer Aktionsfähigkeit herzustellen. In ihrem Bestreben, die Partei auf die altbewährte Taktik der vergangenen
     zwei Jahrzehnte festzuschreiben und sowohl vor rechten als auch linken Extremen zu schützen, hatten Parteivorstand und der
     Chefredakteur der »Neuen Zeit« mit seiner |366| Ideologie des »marxistischen Zentrums« ein leichtes Spiel, weil sich jene, die für Neuerungen plädierten und vor Gefahren
     des Dogmatismus und Formalismus warnten, gerade erst zu sammeln und zu verständigen begannen. Für die von den »Magdeburger
     Sieben« auf Initiative Wilhelm Dittmanns geführten Diskussionen waren nicht nur große Meinungsunterschiede kennzeichnend,
     es fehlte zudem eine Persönlichkeit, die theoretische Kreativität mit Organisationstalent zu vereinen verstand. Wilhelm Dittmanns
     Stärke war nicht die Theorie, Rosa Luxemburgs Schwäche die Organisation. Die bewußt organisierte und vielseitig abgestimmte
     Einflußnahme auf Entscheidungen gehörte nicht zu ihrer politischen Kunst. Sie spürte nach dem Magdeburger Parteitag ihre persönliche
     Ohnmacht in dieser großen Partei, in der vieles mit Routine erledigt wurde. Sie brauchte Abstand von dem Erlebten. »Dieser
Parteitag
hat meine Kräfte und Gesundheit für zwei Monate gefressen«, schrieb sie an Leo Jogiches noch aus Magdeburg am 23. September.
     Alles beschreiben könne sie nicht, er möge bitte den »Vorwärts«-Bericht lesen und am nächsten Tag zu ihr in die Wohnung nach
     Friedenau kommen. Sie möchte wissen, welchen Eindruck die ganze Geschichte auf ihn mache. Den Rest werde sie ihm erzählen.
     »Ich fühle mich
wie ein geprügelter Hund
, und mir scheint, daß ich
eine eklatante Niederlage
erlitten habe. […]
Ich bin physisch fertig
. Von einer Fähigkeit zu arbeiten, kann etwa 3–4 Tage keine Rede sein. Ich bin weder in der Lage zu denken noch zu schlafen,
     noch zu essen.« 102

Für polemische Sachen muß man in Stimmung sein
    Leo Jogiches riß Rosa Luxemburg in wenigen Tagen aus ihrem Stimmungstief. Beide verband auch 1910 in politischer Hinsicht
     mehr als die Probleme in der deutschen Sozialdemokratie, mußten sie doch mit Julian Marchlewski und Adolf Warski aus der Ferne
     um die Existenz eines legalen Wochenblattes der SDKPiL kämpfen und eine antisemitische Hetzkampagne in Warschau abwehren.
     Die von Leo Jogiches herausgegebene Zeitung erschien vom 2. April bis zum 30. Juli 1910 unter dem |367| Titel »Trybuna« und vom 6. August bis zum Verbot am 14. Dezember unter dem Titel »Młot« (Der Hammer).
    Für den »Młot« vieles anregen, übersetzen, redigieren oder selbst schreiben zu müssen, brachte für Rosa Luxemburg neue Aufregung
     mit sich, zumal sie in der polnischen Presse viel stärker als in der Polemik gegen Kautsky und gegen die badischen Budgetbewilliger
     persönlich diffamiert worden war. Da sie wieder auf Leo Jogiches’ Mitgefühl bauen konnte, gestand sie ihm Anfang Oktober freimütig:
     »Der gestrige Brief zusammen mit der ›Myśl Niepodlegla‹ [Gedankenfreiheit] war wieder eine liebe Überraschung für mich, so
     daß ich vor Depression bis 1 Uhr nicht einschlafen konnte. Kann meine polnische Arbeit gar nicht ohne ewige und unaufhörliche
     Nörgelei, Antreiben, Beanstandungen,

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