Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Max
Süßheim und Heinrich Stubbe – seitdem die »Magdeburger Sieben« genannt – eine gesonderte Zusammenkunft von rund 200 Delegierten.
Eine Liste der Teilnehmer gibt es nicht. Sie dürften im wesentlichen identisch sein mit den 216 Unterzeichnern eines Zusatzantrages
von Fritz Zubeil und Genossen zur Parteivorstandsresolution gegen die Budgetbewilligung. Darin wurde gefordert, jenen Verstoß
gegen Parteibeschlüsse auf das allerschärfste zu verurteilen und zu erklären, daß Genossen, die dieser Resolution zuwiderhandeln,
sich außerhalb der Partei stellten. Auch August Bebel drohte den Budgetbewilligern für den Fall der Wiederholung mit dem Ausschluß.
Er kritisierte in seinem Referat das Verhalten der »süddeutschen Fronde« heftig und warnte vor der Herrschaft opportunistischer
Parteibürokraten. Er habe oftmals den Eindruck, daß ein Teil der Führer nicht mehr verstehe, was die Massen zu leiden haben,
daß sie der Lage der Massen entfremdet seien. »[…] wir sind eine Partei von Sozialdemokraten und wenn Nationalliberale unter
uns sind, dann müssen sie hinaus. […] Wir sind jetzt in einer Zeit, wo wir uns auf faule Kompromisse nicht einlassen dürfen.
Die Klassengegensätze werden nicht milder, sie werden schärfer. Wir marschieren sehr, sehr ernsten Zeiten entgegen. Was kommt
nach den nächsten Wahlen? Das wollen wir abwarten. Wenn es gar dazu kommt, daß 1912 ein europäisches |364| Kriegsgewitter losbricht, dann sollt ihr sehen, was wir erleben und wo wir zu stehen haben. Sicherlich ganz woanders, als
man jetzt in Baden steht. […] Jetzt heißt es geschlossen marschieren.« 97 Bebel beließ es bei solchen Andeutungen zum künftigen Kampf, um die Legalität der Partei nicht aufs Spiel zu setzen.
Rosa Luxemburg mußte in ihrer Kritik über Bebel hinausgehen, wollte sie sich selbst treu bleiben. Doch die Budgetbewilliger
zwangen die Sprecherin der Linken, den Vortrag abzubrechen, obwohl sie nur eine Minderheit waren. »Ihre Zeit ist vorbei, Genossin
Luxemburg!« – »Abtreten!« 98 – tönte es im Saal, und der Parteitag schritt nicht dagegen ein. Als sie die Rednertribüne verließ, erhielt sie den brausenden
Beifall der Mehrheit.
Die Rechten hatten ihr Vorgehen gegen die Linken auf einem Treffen unter der Regie von Erhard Auer und Wortführern wie Richard
Fischer, Ludwig Frank, Karl Hildenbrand, Simon Katzenstein, Wilhelm Keil, Wilhelm Kolb, Ludwig Quessel, Albert Südekum, Johannes
Timm und Carl Ulrich abgesprochen. Sie konzentrierten sich auf Schwankende im Umkreis des »marxistischen Zentrums«. Dessen
Wortführer Karl Kautsky war noch immer krank. Da er im Vorfeld zahlreiche Abgeordnete persönlich beeinflußt hatte, ging seine
Strategie auf: Die Auseinandersetzung mit Rosa Luxemburg wurde zugunsten einer relativ geschlossenen Verurteilung der Budgetbewilligung
in den Hintergrund gedrängt.
Rosa Luxemburg vermochte weder dem Vorstand, Karl Kautsky und dem »Vorwärts« noch den Delegierten so »einzuheizen«, wie sie
es sich vorgenommen hatte. Im Gegenteil, sie mußte eine Niederlage hinnehmen: Ihr Antrag zum politischen Massenstreik wurde
durch die Diskussionsreden von Robert Dißmann, Karl Liebknecht und Clara Zetkin unterstützt, erhielt jedoch nur 61 Unterschriften.
Eugen Ernst warf Rosa Luxemburg vor, sie mißachte die Situation, mißdeute die Haltung der preußischen Landeskommission, habe
kein Verständnis für Organisationsbelange und beleidige die Gewerkschaften. Außerdem wiederholte er das gängige Argument,
der Beschluß des Mannheimer Parteitages von 1906 über den politischen Massenstreik reiche aus und brauche höchstens um einen
Absatz |365| aus Rosa Luxemburgs Antrag ergänzt zu werden. 99 Mit solchen Einwänden gelang es ihm, die Antragsteller zu isolieren. Clara Zetkin sah sich gezwungen, in deren Namen einem
rein traditionellen Bekenntnis zur Fortsetzung des Wahlrechtskampfes zuzustimmen. »Wann der Massenstreik begonnen werden soll,
das bestimmen die Leiter der Organisationen, das wissen der Parteivorstand und die Generalkommission und nicht die Genossin
Luxemburg« 100 , kommentierte der preußische Landtagsabgeordnete Robert Leinert triumphierend. Im Moment gelte es nur zu beraten, wie bei
den nächsten Reichstagswahlen gesiegt werden könne.
Angesichts der tiefer werdenden Gegensätze über die Ziele und die einzuschlagende Taktik, aus denen sich eine Krise der deutschen
Sozialdemokratie herauszubilden
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