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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Juden!‹ verkündet und sich die gesamte liberale, fortschrittliche
     Presse einem ausgesprochenen Taumel des Antisemitismus hingibt. Sozialisten sind ›Juden‹, unser ›Młot‹ ist ein Organ des ›jüdischen
     Syndikats‹, wir alle sind Agenten des ›Judentums‹, und die ›fortschrittliche‹ Presse quillt über von persönlichen Verleumdungen
     und unerhörten Gemeinheiten. Wie Sie sehen, ist es eine Dreyfus-Affäre en miniature, was sich da gegenwärtig bei uns abspielt,
     und das ganze bürgerliche Polen – Fortschrittliche, Liberale, Freidenker im Wettstreit mit Vollblutreaktionären und dem Klerus
     – bildet ein Lager im Klassenkampf gegen uns. Deshalb brauchen wir die moralische Unterstützung, die Hilfe, die Solidarität
     der Internationale, um so mehr, da in der bürgerlichen Presse nach einem wohlbekannten Verfahren die französischen, deutschen
     und andere Sozialisten als die ›guten Sozialisten‹ bezeichnet werden, im Gegensatz zu uns, die wir als die ›unechten und vaterlandslosen
     Sozialisten‹ hingestellt werden.« 109 Sie bat Vandervelde, sich in einem offenen Brief »über die Verquickung der ›Gedankenfreiheit‹ mit dem Antisemitismus und
     über das ›Judentum‹ im Sozialismus« zu äußern. Die kämpfenden Arbeiter in Polen brauchten Ermutigung.
    Auch andere Autoritäten der II. Internationale begehrten auf. Eine Zuschrift Bebels erschien am 15. November; Otto Bauer schrieb
     am 1. November über »Sozialismus und Antisemitismus« in der Wiener Zeitschrift »Der Kampf«. Den offenen Brief des Duma-Abgeordneten
     G. A. Alexinski (G. Gregor) veröffentlichte Rosa Luxemburg zusammen mit ihrem Artikel »Abschied von Herrn Niemojewski« am
     3. Dezember 1910.
    Jean Jaurès verdeutlichte am Beispiel der Dreyfus-Affäre Zusammenhänge von Pseudopatriotismus, antisemitischer |370| Barbarei und nationalistischer Orgie. Er forderte in seiner am 22. Oktober im »Młot« abgedruckten Stellungnahme, der antisemitischen
     Kampagne in Polen Einhalt zu gebieten, bevor es zu Greueltaten komme.
    Rosa Luxemburg gab einem Artikel, der im Februar 1911 im »Czerwony Sztandar« erschien, übrigens den Titel »Der Antisemitismus
     Arm in Arm mit dem Banditentum«.
    Karl Kautsky, James Keir Hardie und Georg Ledebour unterstützten das angefeindete Organ der SDKPiL ebenfalls.
    Genau an dem Tag, an dem »Młot« in Warschau verboten wurde, erschien im »Vorwärts« vom 14. Dezember 1910 Rosa Luxemburgs Artikel
     »Befremdende Kampfmethoden«. Sie zeichnete ihn wie alle ihre Beiträge in dieser Polemik nicht mit ihrem Namen. Noch einmal
     wies sie die Angriffe zurück und kritisierte das Manöver. »Ein Blatt, an dem Karski, Rosa Luxemburg, der Abgeordnete der Petersburger
     Arbeiter in der zweiten Duma Alexinski, Rappoport, Oda Olberg ständige Mitarbeiter sind, als ›konterrevolutionär‹ zu denunzieren,
     ist denn auch ein so grotesker Einfall, daß selbst der größte Unwille über das Bestehen und Gedeihen des Warschauer Marxistenblattes
     so plumpe Kampfmittel nicht zu entschuldigen vermag. Sollte mit der Bezeichnung ›konterrevolutionär‹ etwa angedeutet werden,
     daß das Warschauer Blatt unter anderem nationalistische Seitensprünge sowie terroristische Abenteuer verurteilt, so stehen
     ja die meisten Sozialdemokraten in allen Ländern, namentlich aber die deutsche Sozialdemokratie auf dem gleichen Standpunkt.«
     Das Schicksal der Zeitung offenbare die Absurdität der Vorwürfe: Die beiden Arbeiterblätter »Trybuna« und »Młot« »haben also
     in 35 Wochen fünfmal Geldstrafen von über 1700 Mark, 6 Konfiskationen, 4 Preßprozesse und ein Verbot des ersten Wochenblattes
     erlebt, während der Redakteur des zweiten gegenwärtig hinter Schloß und Riegel sitzt.« Über das Verbot des »Młot« informierte
     Julian Marchlewski in einem Artikel, der am 20. Dezember 1910 ebenfalls im »Vorwärts« publiziert wurde.
    Allerdings wollte Rosa Luxemburg diese Polemik nicht ausufern lassen, sie warnte vor thematischer Monotonie und zuviel »Mache«. 110 Schließlich sollten die Leser gewonnen und nicht vor den Kopf gestoßen werden. Anfang November war |371| sie sich mit Leo Jogiches einig, »die Sache mit Niemojewski nicht so in die Länge zu ziehen (noch drei Nummern!) und andererseits
     nicht formell mit einer Bilanz abzuschließen, denn sicher wird sich noch wiederholt die Gelegenheit und die Notwendigkeit
     zu einem Angriff ergeben.« 111
    Das Jahr 1910 war für Rosa Luxemburg von

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