Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
sozialdemokratische Presse mit folgender Notiz: »Donnerstag Mittag ist die Genossin Rosa Luxemburg
in ihrer Wohnung durch zwei Kriminalbeamte plötzlich verhaftet worden. Sie wurde zunächst im Automobil nach dem Berliner Polizeipräsidium
Abteilung VII (politische Polizei) und von dort im grünen Wagen nach dem Weibergefängnis in der Barnimstraße transportiert.
Es handelt sich um die Verbüßung der einjährigen Gefängnisstrafe, die der Genossin Luxemburg im vergangenen Jahre in Frankfurt
a. M. zudiktiert wurde; auf höheren Befehl ist jetzt die bis zum 31. März erteilt gewesene Strafaufschubbewilligung aufgehoben
und die sofortige Strafvollstreckung telegraphisch angeordnet. Einer Notiz der Deutschen Tageszeitung, die über den Vorgang
erstaunlich rasch und sicherlich gut informiert ist und durch hämische Glossierung unsere tapfere Genossin ehrt, entnehmen
wir, daß dieses behördliche Eingreifen durch die bei gewissen Stellen sehr mißliebige politische Tätigkeit der Genossin Luxemburg
unmittelbar veranlaßt ist. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß unsaubere Spitzelhände am Werk waren.« 20 Ein Abdruck der Notiz in der sozialdemokratischen Presse konnte bisher nicht nachgewiesen werden; der Braunschweiger »Volksfreund«
und andere oppositionelle Blätter brachten nur knappe Meldungen.
Rechtsanwalt Dr. Siegfried Weinberg, dem Rosa Luxemburg am 23. Februar 1915 Prozeßvollmacht erteilte, 21 weil Dr. Kurt Rosenfeld eingezogen wurde, reichte am 23. Februar beim Ersten Staatsanwalt des Königlichen Landgerichts II
in Berlin Beschwerde gegen die Verhaftung und gegen die Art der Vornahme ein. Karl Liebknecht prangerte im preußischen Abgeordnetenhaus
an, daß Rosa Luxemburg trotz Intervention ihres Rechtsanwalts zusammen mit gemeinen Verbrechern im grünen Wagen transportiert
worden war. 22
Rosa Luxemburg freute sich sehr über einige Zeilen, die Mathilde Jacob unmittelbar nach der Verhaftung schickte. In der |489| ihr eigenen Art antwortete sie: »Seien Sie um mich ganz ruhig, es geht mir gesundheitlich und ›gemütlich‹ ganz gut. Auch der
Transport im ›grünen Wagen‹ hat mir keinen Schock verursacht, hab’ ich doch schon genau die gleiche Fahrt in Warschau durchgemacht.
Ach, es war so frappant ähnlich, daß ich auf verschiedene heitere Gedanken kam. Freilich war auch ein Unterschied: Die russischen
Gendarmen haben mich als ›Politische‹ mit großem Respekt eskortiert, die Berliner Schutzleute hingegen erklärten mir, es sei
›schnuppe‹, wer ich sei, und steckten mich mit neun ›Kolleginnen‹ in einen Wagen. Na, das alles sind Lappalien schließlich,
und vergessen Sie nie, daß das Leben, was auch kommen mag, mit Gemütsruhe und Heiterkeit zu nehmen ist. Diese besitze ich
nun auch hier in dem nötigen Maße. Damit Sie übrigens keine übertriebene Vorstellung von meinem Heldentum bekommen, will ich
reumütig bekennen, daß ich in dem Augenblick, wo ich zum zweiten Mal an jenem Tage mich aufs Hemd ausziehen und betasten lassen
mußte, mit knapper Not die Tränen zurückhalten konnte. Natürlich war ich innerlich wütend über mich ob solcher Schwachheit
und bin es jetzt noch. Auch entsetzte mich am ersten Abend nicht etwa die Gefängniszelle und mein so plötzliches Ausscheiden
aus den Lebenden, sondern – raten Sie! – die Tatsache, daß ich ohne mein Nachthemd, ohne mir das Haar gekämmt zu haben aufs
Lager mußte. Damit ein klassisches Zitat nicht fehlt: Erinnern Sie sich an die erste Szene in ›Maria Stuart‹, als dieser die
Schmucksachen weggenommen werden: ›Des Lebens kleine Zierden zu entbehren‹, sagt Marias Amme, die Lady Kennedy, sei härter,
als große Prüfungen zu ertragen. (Sehen Sie mal nach, Schiller hat es etwas schöner gesagt als ich hier.) Doch wohin verirre
ich mich? Gott strafe England und verzeihe mir, daß ich mich mit einer englischen Königin vergleiche! Übrigens besitze ich
›des Lebens kleine Zierden‹ in Gestalt von Nachthemden, Kämmen und Seifen alle hier – dank der engelhaften Güte und Geduld
Karls [Liebknecht] –, und so kann das Leben nun seinen geregelten Lauf fließen. Ich freue mich sehr, daß ich so früh aufstehe
(5.40), und warte nur darauf, daß auch die Frau Sonne gefälligst meinem Beispiel folgt, damit ich von dem frühen Aufstehen
auch was habe.« 23
|490| Im ganzen bin ich in sehr guter
und zuversichtlicher Stimmung
Auf den Tag genau ein Jahr verbrachte Rosa Luxemburg in
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