Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
›Schwägerin‹
gewesen sei. Die Vorsteherin, die für ihre neue Gefangene bereits Sympathie gefaßt hatte, war großzügig genug, die Sache nicht
zu beachten.« 27
Am 12. und 13. März 1915 durfte Rosa Luxemburg noch einmal nach Hause, um alles Nötige zu ordnen. Sie vermerkte auf den Kalenderblättern,
daß es für sie zwei glückliche Tage waren. »Um sie zu empfangen, traf ich einige Vorbereitungen in der Südender Wohnung«,
schrieb Mathilde Jacob. »Als ich ein Auto hörte, eilte ich auf die Straße, Rosa Luxemburg zu begrüßen. ›Das habe ich mir so
gedacht, daß Sie mich erwarten würden‹, sagte sie und umarmte mich. Bald gesellten sich Leo Jogiches und Karl Liebknecht zu
uns. Paul Levi, Rosa Luxemburgs Verteidiger vor der Frankfurter Strafkammer, dem sie seit diesem Prozeß freundschaftlich verbunden
war, wollte sich die günstige Gelegenheit, seine Klientin sehen und sprechen zu können, nicht entgehen lassen und war mit
einem Frühzug aus Frankfurt gekommen. Auch Franz Mehring fand sich ein, und noch einige andere politische Freunde drückten
Rosa Luxemburg im Laufe des Tages die Hand. Als wir beieinander saßen, wurden Gefängnisepisoden erzählt. Karl Liebknecht berichtete
von seiner Glatzer Festungszeit und von seines Vaters Gefängnissen, Leo Jogiches von seinen und Rosa Luxemburgs Kerkern in
Polen und Rußland. Paul Levi konnte zu jener Zeit nur von einer Karzerstrafe aus seiner Berliner Studienzeit berichten, während
Franz Mehring damals noch ›gänzlich unbescholten‹ war. Es waren zwei frohe Tage, die einen bittern Nachgeschmack hatten, als
unsere Freundin Abschied nahm. Sie tröstete uns lächelnd. Wir winkten dem Auto, das sie entführte, vom Balkon aus zu. Der
begleitenden Gefängnisaufseherin war untersagt worden, jemanden von uns im Auto mitzunehmen. Karl Liebknecht, in seiner göttlichen
Unbekümmertheit um erlaubte und unerlaubte Dinge, sprang in den abfahrenden Wagen hinein, und die während beider Tage von
Liebknechts Liebenswürdigkeit und Ritterlichkeit entzückt gewesene Aufsicht wehrte die Begleitung nicht ab.« 28
Rosa Luxemburg nutzte ihren zweitägigen »Urlaub« für politische Absprachen. Um die Herausgeber der Zeitschrift »Die |493| Internationale« begann sich die Gruppe Internationale zu formieren, die zur Keimzelle für die Spartakusbewegung wurde. Neben
Fanny Jezierska gehörte die Sozialdemokratin Marta Rosenbaum seit kurzem zum Kreis der näheren Freundinnen Rosa Luxemburgs.
Diese Cousine von Dr. Kurt Rosenfeld, Fanny Jezierska und bald auch Käte Duncker erhielten neben Rosa Luxemburgs langjährigen
Freundinnen Clara Zetkin, Luise Kautsky, Mathilde Wurm, Berta Thalheimer und der früheren Haushälterin Gertrud Zlottko aus
dem Frauengefängnis in der Barnimstraße die meiste Post. Entsprechend ihren Möglichkeiten sorgten sie für die Benachrichtigung
von Hugo Eberlein, Ernst Meyer und anderen Mitgliedern der Gruppe Internationale.
An Marta Rosenbaum schrieb Rosa Luxemburg am 12. März, in den Stunden vorübergehender »Freiheit« frohgelaunt, nun habe sie
endlich ihre Bücher und die Erlaubnis erhalten, im Gefängnis zu arbeiten. »Sie können sich denken, daß ich’s mir nicht zweimal
sagen ließ. Meine Gesundheit wird sich schon an die hiesige, etwas eigentümliche Diät gewöhnen müssen, die Hauptsache ist:
Sie stört mich nicht bei der Arbeit. Denken Sie, ich stehe jeden Tag 5.40 auf! Allerdings muß ich schon um 9 Uhr ins ›Bett‹,
wenn man das Instrument so nennen darf, das ich mir jeden Morgen rauf- und jeden Abend runterklappe und das bei Tag sich so
akkurat an die Wand schmiegt wie ein Brett. Wie ich aus den Zeitungen ersehen kann, die meine einzige Verbindung mit der Weltgeschichte
sind, geht es munter vorwärts. Sie sind wahrscheinlich von Haase begeistert, da Sie doch ein großes Faible für ihn haben […].« 29 Haase hatte am 10. März im Reichstag die volle Gleichberechtigung aller Bürger gefordert und den Abbau demokratischer Rechte
im Krieg kritisiert. Am Schluß des Briefes versicherte Rosa Luxemburg: »Im ganzen bin ich in sehr guter und zuversichtlicher
Stimmung, die Geschichte arbeitet uns wirklich in die Hände.«
Das »Berliner Tageblatt« stand Rosa Luxemburg regelmäßig zur Verfügung, und der Stuttgarter Dietz Verlag sandte ihr wöchentlich
»Die Neue Zeit«. Sämtliches polnische Schriftgut mußte sie indes wieder mit nach Hause geben.
|494| Ich bin fleißig und
Weitere Kostenlose Bücher