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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Kriegskreditbewilliger und Burgfriedenspolitiker in totalem Widerspruch zum Mehrheitswillen handelten und ihren Standpunkt
     fälschlich als Mehrheitswillen ausgaben, setzte Rosa Luxemburg voraus. Letztlich vertraute sie immer wieder darauf, die Massen
     würden die moralische Kraft zur Auflehnung gegen den Krieg selbst aufbringen.
    In einem Brief an Franz Mehring zeigte sich, wie sie um eine realistische Beurteilung der Situation rang: »Freilich ist jetzt
     die ganze Lage derart verworren, daß eine richtige Freude am Kampf gar nicht aufkommen kann. Alles ist noch in der Verschiebung
     begriffen, der große Bergrutsch scheint gar kein Ende zu nehmen, und auf einem solchen zerwühlten und schwankenden Felde die
     Strategie zu bestimmen und die |502| Schlacht zu ordnen ist eine verteufelt schwierige Sache. Ich fürchte mich eigentlich jetzt vor gar nichts mehr. Im ersten
     Moment, damals am 4. August, war ich entsetzt, fast gebrochen; seitdem bin ich ganz ruhig geworden. Die Katastrophe hat solche
     Dimensionen angenommen, daß die gewöhnlichen Maßstäbe von menschlicher Schuld und menschlichem Schmerz versagen; elementare
     Verheerungen haben ja etwas Beruhigendes gerade in ihrer Größe und Blindheit. Und schließlich, wenn es schon so um die Dinge
     stand und die ganze Friedensherrlichkeit bloß Irrlicht auf dem Sumpfe war, dann ist ja besser, daß die Sache mal zum Klappen
     kam. Aber vorläufig haben wir die Qual und die Unbehaglichkeit des Übergangszustands […]. Die Jämmerlichkeit unserer schwankenden
     Freunde, über die Sie stöhnen, ist ja auch nichts anderes als die Frucht von der allgemeinen Korruption, an der die Baracke,
     die im Frieden so stolz glänzte, zusammengekracht ist. Wohin man greift, ist morscher Zunder. Das muß sich, denk’ ich mir,
     alles noch weiter zurechtrutschen und noch mehr auseinanderfallen, damit das gesunde Holz endlich herauskommt.« 46

An die Zukunft und alle guten Geister glauben
    Rosa Luxemburg fiel es zunehmend schwerer, sich mit dem Gefängnisdasein abzufinden. Monatelang hielt sie sich »stramm«, wie
     sie bemerkte, aber dann versagten »die Nerven plötzlich; jeder Tag, den ich herunterleben muß, wird ein kleiner Berg, der
     mühsam bestiegen wird, und jede Kleinigkeit irritiert mich schmerzlich« 47 . Die Stimmungsbilder in den Briefen an ihre Freunde wechselten. Oft suggerierte sie sich zuversichtliche Gedanken, sprach
     von Seelenruhe und Erhabenheit gegenüber den bedrückenden Widrigkeiten der Gefängniseinsamkeit. Manchmal empfand sie es als
     Erleichterung, wenn sie über die Einförmigkeit und Enge in der Zelle klagte: Der Mangel an Eindrücken und Gesprächen lege
     sich allmählich wie Kleister um die Sinne, dabei brauche sie frisch-fröhliche Stimmung, um sich in Arbeitsrausch versetzen
     zu können. 48 Sie litt wie bei früheren Inhaftierungen »unter dem Hunger nach Tönen und Farben« 49 .
    |503| »Von mir ist nicht viel zu berichten«, schrieb sie am 1. Juli 1915 an Clara Zetkin. »Ein Tag gleicht dem andern und eine Woche
     der andern wie zwei Regentropfen; es sind nun ca. 4½ Monate vorbei. Wenn der Himmel in seinen unerforschlichen Ratschlüssen
     nicht anders bestimmt – wozu einige schwache Anzeichen vorliegen –, dann sind es noch 7½. Ich tue von 6 Uhr früh bis 9 abends
     nichts anderes als lesen und z. T. schreiben, damit ist mein derzeitiges ›Lebensbild‹ erschöpft.« 50
    Rosa Luxemburg lebte mit der Poesie der großen Dichter der Welt, wälzte wissenschaftliche Publikationen und vertiefte sich
     in politische Schriften. »Zu meiner Erfrischung«, fügte sie in einem Brief an Franz Mehring hinzu: »Aber helft mir, ihr Götter,
     daß ich bei Bernsteins Anmerkungen nicht aus der Haut fahre. Wie ein blöder Köter springt er dem Lassalle immer zwischen den
     Beinen. Wenn dieser gerade am schönsten ausholt, um Schulzen eine klatschende Ohrfeige zu versetzen, packt ihn das Rindvieh
     am Ärmel, um mit gehobenem Finger zu bemerken, daß ›eigentlich‹ Schulze ›insofern‹ ›nicht ganz‹ unrecht hätte als usw. Und
     wenn Lassalle ein Kapitel wie ein rollendes Gewitter mit Blitzen und Donnern abschließt und ich in der frischen Luft tief
     aufatmen will, taucht schnell von unten am Seil einer Fußnote wie eine Spinne am Faden der unvermeidliche Ede [Bernstein]
     auf und ›bemerkt‹, daß ›eigentlich‹ Molinari schon im Jahre 1846 so etwas gesagt habe oder was weiß ich, was für einen Kohl
     sonst. O daß dich doch der Teufel

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