Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Liebknecht seit Wochen mit den sogenannten Dezembermännern, zu denen Bernstein, Bock,
Büchner, Cohn, Dittmann, Geyer, Haase, Henke, Herzfeld, Horn, Kunert, Ledebour, Schwartz, Stadthagen, Stolle, Vogtherr, Wurm
und Zubeil gehörten. Sie hatten am 21. Dezember 1915 zusammen mit ihm und Otto Rühle gegen die Kriegskredite gestimmt. Ihr
Veto hatten sie allerdings vor allem mit den nunmehr gesicherten Landesgrenzen Deutschlands begründet und nicht mit einer
prinzipiellen Kriegsgegnerschaft. Rosa Luxemburg griff sofort in die Auseinandersetzungen ein, denn sie wollte möglichst viele
für eine grundsätzliche Opposition gegen die Partei- und Gewerkschaftsinstanzen gewinnen und auf Massenaktionen gegen den
Krieg orientieren helfen.
Seit dem 25. Februar kursierte in der Berliner Opposition ein von Adolph Hoffmann und Georg Ledebour verfaßtes Flugblatt gegen
die Spartakusgruppe. Es wandte sich vor allem gegen die »Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie«
und gegen eine kritische Diskussion über die Fehler der Sozialdemokratischen Partei. Das war ein offener Angriff auf Rosa
Luxemburgs Position. Sie war davon überzeugt, |520| daß es zur Generalauseinandersetzung mit der Rechten und mit dem »Sumpf«, der schwankenden und vor allem durch Kautskys Thesen
bemäntelten Mitte, kommen werde. Ein solcher Prozeß erfordere Geduld, denn er sei für die meisten Linken neu, müsse heranreifen
und zwinge, Fehler und Schwankungen auch von nächsten Freunden einzukalkulieren.
Mit Leo Jogiches, der sich seit Spätherbst 1915 nach einigen Monaten Unterbrechung wieder ganz aktiv in die Arbeit der Gruppe
Internationale bzw. Spartakus eingeschaltet hatte, beriet sich Rosa Luxemburg ständig. Er gab ihr gewiß auch Ratschläge, damit
sie sich den Überwachungsbehörden nicht zu unbedacht auslieferte. Daß sie beobachtet und bespitzelt wurde, war klar. So erging
am 21. März 1916 von der Oberpostdirektion Berlin folgende Meldung an das Reichspostamt: »Beim Postamt in Berlin-Südende ist
am 16. März von einem Kriminalbeamten des hiesigen Polizeipräsidiums, Abt. VII ein Schreiben des Oberkommandos in den Marken
mit dem Ersuchen vorgelegt worden, die für Frau Dr. Rosa Luxemburg Berlin-Südende Lindenstraße 2 eingehenden Briefsendungen
anzuhalten und ihm auszuhändigen. Die Sendungen sollen beim Polizeipräsidium geöffnet und sofern nicht eine Beschlagnahme
erfolgt, unauffällig wieder verschlossen zur Aushändigung an die Empfängerin zurückgegeben werden.« 92
Rosa Luxemburg traf auch so oft wie möglich mit Karl Liebknecht zusammen. Der temperamentvolle Führer der Spartakusgruppe
wie der revolutionären Antikriegsbewegung überhaupt nutzte jede Möglichkeit des Aufenthalts in Berlin, ob im Reichstag, im
Landtag oder im Krankenhaus, zur Oppositionsarbeit. Er war froh, nun Rosa Luxemburg wieder »frei« an seiner Seite zu haben.
Mathilde Jacob bezeugt, daß Karl Liebknecht und Leo Jogiches Rosa Luxemburg in Südende am häufigsten besuchten. »Karl Liebknecht
hatte mich seit Jahren zu politischen Hilfsarbeiten herangezogen«, schrieb sie. »Ich bewunderte seinen Mut und seine Ausdauer,
ich schätzte seine stets gleichmäßige, freundliche und kameradschaftliche Art. – Die Zusammenarbeit zwischen ihm und Rosa
Luxemburg wurde immer enger. Insgeheim wünschte ich, beide wären weniger unzertrennlich gewesen. Auch wuchs die politische
Bedeutung Karl Liebknechts über ihn hinaus, stets wurde er mit |521| Rosa Luxemburg gemeinsam genannt. Sein politisches Auftreten wurde immer kühner, oft aber waren seine Handlungen tollkühn
und nicht frei von Eitelkeit. Gelegentlich sprach ich mit Rosa Luxemburg kritisch über Karl Liebknecht, und sie sagte daraufhin:
›Vergleichen Sie ihn nicht mit Leo Jogiches, wie Sie es zu tun pflegen, vergleichen Sie ihn mit deutschen Genossen und Sie
werden sehen, wie hoch er über ihnen steht. Außerdem sollten Sie Lassalle fleißig lesen, Sie können viel dabei lernen; auch
er war eitel.‹« 93
Obwohl oder gerade weil es Rosa Luxemburg schwerfiel, ihre Nerven im ersten Ansturm der Eindrücke im Zaum zu halten, suchte
sie Liebknecht als Grundsatz einzutrichtern, »nicht zu viel tun wollen, wenige, ruhige, wohlgezielte Schritte« zu gehen, das
sei jetzt nötig und ausreichend. 94 Auch gegenüber Clara Zetkin gab sich Rosa Luxemburg betont gelassen. »Wir brauchen durchaus nicht zu zappeln, uns über Einzelheiten
und
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