Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Rechnungsträger.
Solle sich der Bankrott vom 4. August 1914 künftig nicht wiederholen, gebe es nur einen Weg: »die internationale Solidarität
des Proletariats aus einer schönen Phrase zur wirklichen, bitterernsten und heiligen Lebensregel zu machen, die sozialistische
Internationale aus einem leeren Schaugepränge zur realen Macht zu gestalten und sie zu einem felsenfesten Damm auszubauen,
an dem sich die Sturzwellen des kapitalistischen Imperialismus fernerhin brechen werden«. Ledebour und Hoffmann aber wollten
»nach dem Kriege einfach den alten Jammer wiederherstellen; jede nationale Partei soll nach wie vor freie Hand haben, mit
den Beschlüssen der Internationale Schindluder zu treiben, wir sollen wieder alle paar Jahre prunkvolle Kongresse, schöne
Reden, Feuerwerke der Begeisterung, dröhnende Manifeste und kühne Resolutionen erleben, wenn es aber zur Tat kommt, soll wieder
die Internationale völlig ohnmächtig dastehen und vor der verlogenen Phrase der ›Vaterlandsverteidigung‹ wie ein Spuk der
Nacht vor der blutigen Wirklichkeit weichen!« 98 Wenn sie nicht begriffen, daß so der Verrat der Internationale durch Rechte wie Heine, David und Scheidemann fortgesetzt
werde, sei ein weiteres gemeinsames Vorgehen ausgeschlossen.
|524| Eine neue Situation ergab sich, als am 24. März 1916 die 18 Abgeordneten, die am 21. Dezember 1915 den Kriegskrediten nicht
zugestimmt hatten, aus der Reichstagsfraktion ausgeschlossen wurden. Sie bildeten daraufhin am 30. März 1916 die Sozialdemokratische
Arbeitsgemeinschaft und wählten Wilhelm Dittmann, Hugo Haase und Georg Ledebour zum Vorstand. Hugo Haase legte sein Amt als
Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei nieder. Hätte sich die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft nicht gebildet,
kommentierte Karl Kautsky, »wäre Berlin von den Spartacusleuten erobert und stünde außerhalb der Partei« 99 .
Rosa Luxemburg fürchtete, der Klärungsprozeß in der Opposition könnte sich verlangsamen. Zusammen mit Ernst Meyer verfaßte
sie das illegal verbreitete Flugblatt »Die Lehre des 24. März«. Darin bezeichnete sie den Ausschluß der Etatverweigerer unmißverständlich
als »Bankrott der kleinen Schritte und der Politik des Ausweichens vor Entscheidungen, der Politik der Schwächlichkeiten,
Halbheiten und Konzessionen an die Rechte« 100 . Die Achtzehn hätten in falsch verstandener Disziplin um der »Einheit« willen zwei Jahre lang ein Schattendasein voller Widersprüche
geführt. Alles Abrücken von Liebknecht, alles Zurückweichen vor Entscheidungen habe sie nicht vor der Alternative bewahrt,
entweder mit den Verrätern am Sozialismus und an der Internationale mitschuldig zu werden oder in konsequenter Interessenvertretung
des Friedenswillens sich dem Diktat der Mehrheitssozialdemokraten zu widersetzen.
Da die Dezembermänner noch immer an dem Standpunkt festhielten, der Krieg sei anfangs ein Verteidigungskrieg zur Sicherung
der Landesgrenzen gewesen und ihr »Nein« Ende 1915 erkläre sich aus einer neuen Beurteilung der militärischen Lage, appellierten
die Spartakusführer: »Genossen und Genossinnen, steift dieser zaghaften Minderheit den Rücken, treibt sie vorwärts! Stellt
den Haase-Ledebour stets die Forderung: 1. daß sie in Zukunft alle Kriegskredite ohne Rücksicht auf die militärische Situation
unter grundsätzlicher sozialistischer Begründung ablehnen; 2. daß sie der Regierung des Belagerungszustands und des Weltkriegs
jegliche wie immer geartete Steuern verweigern; 3. daß sie die Kleinen Anfragen und |525| sämtliche Mittel der parlamentarischen Geschäftsordnung zur ständigen Bekämpfung der imperialistischen Parteien, zur Aufrüttelung
der Volksmassen ausnutzen.« 101 Konsequenz in der parlamentarischen Aktion gegen den Krieg müßte Konsequenz in der außerparlamentarischen Aktion zur Folge
haben.
Zu Massenaktionen für Frieden, Freiheit und Brot überzugehen, darin sah die Spartakusgruppe im Frühjahr 1916 die entscheidende
Aufgabe im Kampf gegen den Krieg. Im Zusammenhang damit müsse die Partei für den grundsätzlichen Klassenkampf und die Beendigung
des Völkermords zurückerobert und die proletarische Internationale wiederhergestellt werden. Mit ihrer Losung von der Zurückeroberung
der Partei wollte Rosa Luxemburg im Unterschied zu den Dezembermännern nicht zur »alten bewährten Taktik« mit den »glänzenden
Siegen« von Reichstagswahl zu Reichstagswahl
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