Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
Vom Netzwerk:
Sie war ungehalten darüber, daß die führenden Vertreter der Sozialdemokratischen
     Arbeitsgemeinschaft nicht entschiedener gegen das autoritäre Vorgehen des Parteivorstandes und gegen die Durchhaltepolitik
     der Mehrheitssozialdemokraten auftraten und Ende 1916, als die kriegführenden Regierungen der Welt Friedensschlußabsichten
     vorgaukelten, Illusionen über die Beendigung des Krieges durch Schiedsgerichte und diplomatische Abkommen verbreiteten. In
     dem mit Gracchus gezeichneten Beitrag »Offene Briefe an Gesinnungsfreunde. Von Spaltung, Einheit und Austritt«, der in dem
     linken Organ »Der Kampf« (Duisburg) am 6. Januar 1917 veröffentlicht wurde, erklärte sie, es sei rückwärtsgewandte Opposition,
     politische Einfalt, »mit der die Führer des Sumpfes, die Haase, Ledebour, Dittmann, vermeinen, die alte ruhmreiche Sozialdemokratie,
     die sie erst zu verscharren mitgeholfen haben und auf deren Grabe sie anderthalb Jahre lang selbst mitgetanzt hatten, nunmehr
     in der Weise von den Toten aufzuerwecken, daß sie sich mitten im heutigen Weltkrieg, ›treu der alten bewährten Taktik‹, wieder
     genauso gebärden wie vor dem Kriege und genau die gleichen Reichstagsreden schmettern wie Anno Tobak, als wäre nichts geschehen.« 139
    |546| Flucht aus der Partei sei auch keine Lösung. Aus kleinen Sekten und Konventikeln könne man »austreten«, um wieder in neue
     einzutreten, nicht aber aus einer Massenbewegung, um die es im Kampf gegen den Krieg in erster Linie gehe. An der Generalauseinandersetzung
     um die »Liquidierung des ›Haufens organisierter Verwesung‹, der sich heute deutsche Sozialdemokratie nennt« 140 , habe man mit aller Entschiedenheit teilzunehmen, den betörten Massen gelte es im schweren Kampf um ihre Befreiung beizustehen.
    Der Brief an Mathilde Wurm endete mit versöhnlicheren Worten: »Hast Du jetzt genug zum Neujahrsgruß? Dann sieh, daß Du Mensch
     bleibst. Mensch sein ist vor allem die Hauptsache. Und das heißt: fest und klar und heiter sein, ja, heiter trotz alledem
     und alledem, denn das Heulen ist Geschäft der Schwäche. Mensch sein, heißt sein ganzes Leben ›auf des Schicksals große Waage‹
     freudig hinwerfen, wenn ’s sein muß, sich zugleich aber an jedem hellen Tag und jeder schönen Wolke freuen, ach, ich weiß
     keine Rezepte zu schreiben, wie man Mensch sein soll, ich weiß nur, wie man’s ist, und Du wußtest es auch immer, wenn wir
     einige Stunden zusammen im Südender Feld spazierengingen und auf dem Getreide roter Abendschein lag. Die Welt ist so schön
     bei allem Graus und wäre noch schöner, wenn es keine Schwächlinge und Feiglinge auf ihr gäbe. Komm, Du kriegst doch noch einen
     Kuß, weil Du doch ein ehrlicher kleiner Kerl bist. Prosit Neujahr! R.« 141
    Dieser Brief kränkte Mathilde Wurm sehr. Sie wollte die Beziehungen zu Rosa Luxemburg sofort abbrechen und sie mit Schweigen
     strafen. Doch am 20. Januar 1917 entschloß sie sich, der drei Jahre älteren Freundin unverblümt die Meinung zu sagen: »So
     schlecht wie Du ›uns‹ machst, sind wir nicht. ›Ihr‹ glaubt, die Euch mit dem Munde recht geben, würden dementsprechend handeln.
     ›Ihr‹ seht Euch in Euren vier Wänden und von Helden umgeben, denen kein Gedankenflug zu hoch, keine Tat zu kühn ist. Und Du
     und noch einige, Ihr glaubt an diese Helden. Aber die Mehrzahl dieser Helden nimmt bei Demonstrationen Reißaus, wenn der erste
     Schutzmannsgaul ihnen auf den Fersen ist, hält in den Sitzungen ›Tatreden‹, um dann bei der Abstimmung zu fehlen und hat noch
     vor ganz anderen |547| Dingen, die ich nicht näher zu bezeichnen brauche, eine durchaus nicht heldenmäßige Angst. Wohl gibt es eine ganze Anzahl
     von solchen, die vor nichts zurückscheuen, die Leben, Lebensglück und Existenz in die Waagschale werfen, aber sie sind und
     bleiben eine kleine Minderheit. […] Was Du verlangst und erwartest, weil Du jederzeit dazu bereit bist, sich selbst zum Opfer
     zu bringen, daran denken nur ganz wenige. […] Und nach wie vor bin ich überzeugt: Du und Karl Ihr habt weder dem Sozialismus
     noch der Sache des Friedens genützt. Hat je ein Schlachtenlenker in der vordersten Linie gestanden? […] Ist das Proletariat
     noch so unreif, daß es die Überlegenheit und die Größe seiner Führer nur dann erkennt und an sie glaubt, wenn diese sich jeder
     Gefahr aussetzen, dann dürft Ihr ihm doch diese Konzession nicht machen, sondern den noch kindlichen Riesen zur größeren

Weitere Kostenlose Bücher