Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
wohnlich eingerichtet, das Gärtchen nur für die Festungsgefangene bestimmt.« 131 Dieser relative Luxus war ebenso wie die Erlaubnis, die eigenen Kleider zu tragen, eine Vergünstigung der politischen Gefangenen.
Bevor sie sich von morgens bis abends »frei« bewegen durfte, mußte noch ein Zaun gesetzt werden, um ihren Bereich vom Hof
abzugrenzen, in dem viele Soldaten arbeiteten. Die drei anderen Seiten waren von einer Mauer umgeben. Die Tür ihrer Unterkunft
zum Gärtchen hin war tagsüber offen.
Endlich gehörte ihr wieder ein Stück Natur, und sie besaß einen »freien« Blick zum Himmel. Bald leisteten ihr zutrauliche
Vögel Gesellschaft. »Wirst staunen, wen Du hier alles um mich findest!« schrieb sie an Luise Kautsky. »Die Kohlmeisen assistieren
mir treu vor dem Fenster, sie kennen schon genau meine Stimme und haben’s, scheint’s, gern, wenn ich singe.[…] Dann kommen
auf den Ruf jeden Tag auch zwei Amseln, ich habe noch nie so zahme gesehen. Sie essen vom Blech vor dem Fenster. Dafür habe
ich mir aber auch zum 1. April eine Kantate bestellt, die soll sich gewaschen haben. Kannst Du mir nicht für das Volk Sonnenblumenkerne
schikken? Und dann bestelle ich mir noch für den eigenen Schnabel so einen Kriegskuchen, wie Du mir schon paarmal schicktest,
er gibt einen leisen Vorgeschmack des Paradieses.« 132
Ihren Tag konnte die Gefangene selbst einteilen. In der Regel stand sie sehr früh auf. Mittags und abends brachte ihr der
Hotelbote Essen aus dem »Fremdenhof Gegenmantel« in Wronke am Markt. Mathilde Jacob hatte das bestens arrangiert. Die Kost
war für die damaligen Verhältnisse recht gut, der Gefängnisdirektor bewertete sie als großartig. Er unternahm zuweilen mit
Rosa Luxemburg Spaziergänge, bei denen im beiderseitigen Einvernehmen auf politische Unterhaltungen verzichtet wurde.
|542| Am 31. Oktober schrieb Rosa Luxemburg zum erstenmal aus Wronke. Sie hatte insgeheim erwartet, daß ihr gleich jemand von ihren
Freunden nachreist. Sie hatte keinen Groschen mehr. Die Verpflegung aber sollte täglich 4,20 Mark kosten. Insgesamt brauchte
sie nach ihrer Schätzung monatlich etwa 150 Mark. Wiederum war sie auf die finanzielle Unterstützung von Freunden angewiesen,
die sie fürs erste von Zetkin-Zundels und von Hans Diefenbach auch sofort bekam.
Mathilde Jacob sorgte dafür, daß alle persönlichen Dinge aus der Barnimstraße nach Wronke gebracht wurden. Rosa Luxemburg
sandte ihr weitere Wunschlisten. Am 7. November 1916 hieß es z. B. im Brief an sie: »Bitte um blaues Kostüm mit Blusen, Waschkleid,
Kimono, warmen rosa Unterrock, drei Bettlaken mit breiter Kante, drei ohne Kante, drei Kissenbezüge (allesmit Monogramm),
vier Frottierhandtücher, Badelaken, Leibwäsche (keine wollenen Strümpfe), sechs Servietten (von den neuen), sechs Küchenhandtücher
(von den neuen), Bettvorleger, Fußkissen, Schuhlöffel, den grünen Satinbettüberwurf vom Mädchenbett, das weiße Deckchen mit
Blumen, Wecker (in Ordnung bringen!), braune Handtasche, leer, Künstlermappen (Michelangelo, Turner, Feuerbach), Reiseplaid
mit Riemen. Meinen Stempel. Von Büchern bitte alle aus der Barnimstr., ausgenommen Homer, ›Kinder des Zorns‹, Grillparzer
(die ich nicht mehr brauche). Dazu bitte noch: 18. Brumaire, ›Klassenkämpfe in Frankreich‹ (Engels), Das Kommunistische Manifest
(neu kaufen), ›Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie‹, die französische Bibel, Lehren der drei Dumas, Nachlaß von Marx
und Engels, Lassalle, Geologie Deutschlands, Albert Lange ›Geschichte des Materialismus‹, Völkerkunde, Macaulay, ›Lord Clive‹,
deutsch (Universalbibl.), Kipling, ›Second Jungle Book‹ (Tauchnitz ed.) aus meiner Bibliothek.« 133
Für Weihnachten wünschte sie sich von Clara Zetkin zwei kleine Blumenkörbchen mit Tulpen, Krokus, Mai- und am liebsten auch
Schneeglöckchen und Selbstgebackenes mit Anis und Zimt. Kurz vor den Feiertagen wurde sie von Sophie Liebknecht besucht, die
von ihrer ganzen Familie Grüße und viele Aufmerksamkeiten mitbrachte, auch einen Weihnachtsbaum, wohl wissend, daß der Abschied
nach einem solchen Besuch |543| umso trauriger werden würde. »Gewiß war es mit Besuchen trotz allem besser als ohne Besuche«, meinte Sophie Liebknecht, »und
außerdem war damit ein praktischer Zweck verbunden: der geheime Austausch von Papieren. Der Besucher brachte einen gutgetarnten
Kuchen, einen Blumentopf mit schönen Blumen oder
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