Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Parteivergangenheit verklärt und konserviert wurde und wenig Konsequenz für eine revolutionäre
Gestaltung der Zukunft zu spüren war. 147 Wie diesem Zustand konzeptionell in der Praxis begegnet werden sollte, wußte sie vorläufig nicht. De facto befand sie sich
im Nachtrab der Entscheidungsakteure in der Führung der USPD.
Sie war unzufrieden und fürchtete sich manchmal direkt vor den unerquicklichen Debatten, die vermutlich auch nach dem Kriege
nicht zur Ruhe kamen. »Und ich habe bei Gott so wenig Lust zu der bevorstehenden Rauferei! Immer und ewig dieselben holden
Gestalten um mich haben, denselben Ad[olph] Hoffm[ann] mit seinem Berliner ›Mutterwitz‹ und seinen Inexpressibles (verzeihen
Sie!), die wie zwei zusammenbrechende dorische Säulen aussehen, und ewig denselben breitkrämpigen braunen Plüschhut des Vaters
Pfannkuch vor mir haben? Mir graut, daß ich bis zu meinem Lebensende von diesen Dingen flankiert werden soll. ›Throne bersten,
Reiche splittern‹, die Welt steht auf dem Kopf – und zum Schluß komme ich nicht aus dem ›schlimmen Zirkel‹ ewig derselben
paar Dutzend Leute, et plus ça change – plus ça reste tout à fait la même chose [je mehr es sich ändert – um so mehr bleibt
es ganz dasselbe]. Also seien Sie auf alles gefaßt!« 148 Kurze Zeit später sprach sie sich und anderen wieder Mut zu: »Aber ich meine: Der Erfolg dieser bewußten Einwirkung auf die
Massen hängt jetzt, wo alles so absolut hoffnungslos aussieht, von elementaren, tief verborgenen Sprungfedern der Geschichte
ab, und ich weiß aus der geschichtlichen Erfahrung, auch aus persönlicher Erfahrung in Rußland, daß gerade dann, |552| wenn äußerlich sich alles glänzend ausweglos und jämmerlich ausnimmt, schon ein völliger Umschwung sich vorbereitet, der dann
allerdings um so heftiger ist. Vergessen Sie überhaupt nie: Wir sind an geschichtliche Entwicklungsgesetze gebunden, und diese
versagen nie, wenn sie auch manchmal nicht just nach Schema F gehen, das wir uns zurechtgelegt haben. Also, auf jeden Fall:
Kopf hoch und den Mut nicht sinken lassen.« 149
Sie müssen mir oft schreiben
Während Rosa Luxemburg in der Festung Wronke durch staatlichen Zwang »auf Urlaub« von der Weltgeschichte war, sorgte sie sich
besonders um Sophie Liebknecht, deren Mann im Zuchthaus Luckau als »Landesverräter« einsaß. Sie ermunterte die Freundin, sich
ungeniert über den tragischen Konflikt auszusprechen, in den sie durch Karl geraten sei. Sophie dürfe weder ihre Selbstachtung
und ihren eigenen Willen preisgeben noch sich von der Sorge um ihre Mutter in Rußland, um Karl, den geliebten Mann, und seine
Kinder total beherrschen lassen. 150 Mit Erinnerungen an gemeinsame Konzertbesuche, Spaziergänge, Automobilfahrten, Kaffee- und Teestunden oder an übermütige
Lachsalven versuchte sie die junge Frau aufzuheitern. Sie riet ihr, das Leben so zu akzeptieren, wie es seit jeher ist: »[…]
alles gehört dazu: Leid und Trennung und Sehnsucht. Man muß es immer mit allem nehmen und alles schön und gut finden. Ich
tue es wenigstens so. Nicht durch ausgeklügelte Weisheit, sondern einfach so aus meiner Natur. Ich fühle instinktiv, daß das
die einzig richtige Art ist, das Leben zu nehmen, und fühle mich deshalb wirklich glücklich in jeder Lage. Ich möchte auch
nichts aus meinem Leben missen und nichts anders haben, als es war und ist. Wenn ich Sie doch zu dieser Lebensauffassung bringen
könnte!« 151
Mit Universalismus und innerer Harmonie, die jeder anstreben könne, ließen sich selbst schwere Lebenslagen überstehen, erklärte
Rosa Luxemburg in einem Brief an Luise Kautsky. Zuvor hatte sie ihr allerdings gestanden, länger nicht geschrieben zu haben,
weil sie, bei eisigem Sturmwind und grimmiger |553| Kälte miserabel gestimmt, selbst auf einen herzlichen und warmen Brief gewartet und eine kurze Periode erbärmlicher Feigheit
durchlebt habe. 152 Sie bat ihre Freunde, sie gelegentlich daran zu erinnern, daß Güte im Umgang mit anderen viel wichtiger sei als Strenge,
da sie, freilich nur in politischen Beziehungen, zur Strenge neige. 153 Sich durch Stöhnen über Unabänderliches die Freude am Dasein zu verderben, müsse man sich abgewöhnen: »Nimm aber die Dinge
umgekehrt und suche nach Honig in jeder Blüte, so findest Du stets Ursache, um heiter zu sein.« 154
Neben Sophie Liebknecht und Luise Kautsky gehörten Mathilde Jacob, Marta Rosenbaum, Clara Zetkin
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