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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Arbeiter-Zeitung« archivierte sie vollständig. Bei ihren
     polnischen Bekannten erkundigte sie sich sogleich nach der sozialen Lage und der Stimmung der in Deutschland lebenden Polen
     und erfuhr, daß die sozialdemokratische Wahlagitation speziell im oberschlesischen Gebiet im argen lag.
    Rosa Luxemburg paukte das Handbuch, das die Sozialdemokratische Partei zu den Reichstagswahlen herausgegeben hatte, wie eine
     Grammatik. Schon nach wenigen Tagen vermochte sie ihren Tatendrang nicht mehr zu zügeln. Sie fühlte sich genügend vorbereitet,
     um in der Partei ordentlich mitarbeiten zu können. Sie wolle »gleich den höchsten Ton anschlagen, d. h. den eines alten
Genossen
, der mit der Arbeit absolut vertraut ist und sich auf der Tribüne wie in seinem Schlafzimmer fühlt« 12 . Sie fürchte sich nicht vor Diskussionen. Nachdem sie eine ganze Reihe Wahlversammlungen von Bebel, Singer etc. miterlebt |84| habe, wisse sie »schon von vornherein, was wem zu antworten ist« 13 . Sie könne einfach nicht in der Ecke sitzen und ständig nur Berichte über Versammlungen lesen. Sie möchte sich endlich, »zum
     Teufel, ein wenig der Öffentlichkeit zeigen« 14 .
    Eigentlich wollte Rosa Luxemburg für ihr erstes Gespräch im Parteivorstand die Rückkehr August Bebels abwarten, der sich auf
     Agitationstour befand. Doch das dauerte ihr zu lange. Am 24. Mai 1898 ging sie in die Katzbachstraße 9. Hier empfing sie Ignatz
     Auer, einer der beiden Sekretäre des Parteivorstandes. Er war der Organisationschef, ein erfahrener Praktiker – »groß und
     blond«, wie sie Leo Jogiches schrieb, »etwa vierzig Jahre, gut aussehend, im Typ absolut der höhere russische Beamte oder
     Gutsbesitzer« 15 . Was er ihr über die Situation der polnischen Bevölkerung erzählte, bezeichnete sie als Quasselei. Über die polnische Bewegung
     brauchte er sie nicht aufzuklären, konterte Rosa Luxemburg keß. Sie habe »einen eigenen Aktionsplan, möchte jedoch nicht
auf eigene Faust
beginnen«. Auer habe sich mehrfach gewundert, besonders frappierte ihn ihre preußische Staatsbürgerschaft. Er »bat sogleich
     um meine Adresse, die er in das Parteiadressenbuch eintrug, und danach begannen wir schon offen zu reden« 16 .
    Rosa Luxemburg gefiel Auer. Er war froh, eine mit den Verhältnissen unter den Polen vertraute Agitatorin zu gewinnen. Schließlich
     gehörte die junge Genossin seit Jahren zur Führungsgruppe der SDKP. Mit der Aufnahme ins Parteiadressenbuch war sie nun auch
     Mitglied der deutschen Sozialdemokratie. Ab 1898 war sie folglich sowohl in der legalen deutschen Partei tätig als auch in
     der illegalen polnischen. Für einen von Rosa Luxemburg gewünschten Einsatz in Westfalen konnte sich Ignatz Auer allerdings
     nicht erwärmen. Er schlug vor, sie möge zur Wahlagitation nach Oberschlesien gehen. Das behagte ihr zwar wenig, aber sie tat
     es.

Ich mußte mich aufs Eis wagen
    In Oberschlesien galt es, weitab vom Zentrum, mühsame Kleinarbeit zu leisten, um unter der polnischen Bevölkerung Wähler für
     die Sozialdemokratie zu gewinnen. Am 2. Juni 1898 fuhr |85| Rosa Luxemburg los. Zunächst machte sie in Breslau halt, um mit dem Redakteur der »Volkswacht«, Julius Bruhns, zu sprechen,
     wie es ihr Auer empfohlen hatte. In Hallmanns Brauerei hielt sie dort am 5. Juni ihre erste Rede auf einer öffentlichen Wahlversammlung.
     Sie zog Bilanz über die Tätigkeit des Reichstages in der letzten Legislaturperiode und kritisierte die volksfeindliche Politik
     der bürgerlichen Parteien. Sie legte ihren Standpunkt zur kapitalistischen Entwicklung dar und bezeichnete das arbeitende
     Volk als einzigen Hort der Freiheit. Es habe die Wahl, »entweder im Elend unterzugehen – oder ein Ende damit zu machen. Wann
     das geschehen wird, das hängt von jeder einzelnen Schlacht ab.« 17 Eine solche stehe mit den Reichstagswahlen bevor. Für einen Erfolg der Sozialdemokratie müsse alles aufgeboten werden.
    In Oberschlesien konnten keine öffentlichen Versammlungen stattfinden; denn jeder Gastwirt, der bereit war, seine Räume an
     die Sozialdemokratie zu vermieten, lief Gefahr, seine Konzession zu verlieren. Die Agitation mußte sich folglich auf Flugblattverbreitung
     und Gespräche beschränken. In Königshütte diente die Wohnung des Sekretärs des Sozialdemokratischen Vereins für Oberschlesien,
     August Winter, als Wahlbüro. Rosa Luxemburg teilte Wahlhelfer ein, rüstete sie mit Argumenten aus, gab Proklamationen und
     Wahlkarten weiter.

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