Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
versichern, sie habe wieder Freude an der Arbeit, Lust an
menschlicher Gesellschaft und Freundschaft. Die Zuneigung von Franz und Eva Mehring sei ein Geschenk, und sie erfreue sich
am Klavierspiel von Eva Mehring, die wie sie eine Vorliebe für Beethoven und Chopin besäße. Außerdem studiere und genieße
sie Hebbel, den sie bis jetzt nicht kannte. 34
Also wird man auch ihm auf die Pfoten hauen müssen
Am 19. Januar 1901 schrieb Rosa Luxemburg an Cezaryna Wojnarowska, der sie vor Monaten über den Tod des Vaters ihr Leid geklagt
hatte, wie erlöst: »[…] ich stecke bis über die Ohren in der Arbeit […]. Sagen Sie Guesde, daß in der ›N[euen] Z[eit]‹, nächste
Nr., mein erster Art[ikel] über Frankreich erscheint – eine Antwort auf Vollmar.« 35 Georg von Vollmar gehörte zu den eifrigsten Befürwortern des Millerandismus. Alexandre-Étienne Millerand war am 22. Juni
1899 als Mitglied einer sozialistischen Partei in die bürgerliche Regierung Frankreichs, in das Kabinett Waldeck-Rousseau
eingetreten, in dem auch der Henker der Pariser Kommune, Galliffet, Mitglied war. Rosa Luxemburg hatte bereits am 6. Juli
1899 in der »Leipziger Volkszeitung« dagegen Stellung genommen. Schnell war sie zu der Ansicht gelangt: Ein Sozialdemokrat,
der Sozialreformen als Mitglied der Regierung, d. h. bei gleichzeitiger aktiver Unterstützung des bürgerlichen Staates |160| im ganzen anstrebt, reduziere seinen Sozialismus im allerbesten Falle auf bürgerliche Demokratie oder bürgerliche Arbeiterpolitik.
Das Ergebnis in den Reihen der Sozialdemokratie könnten nur Verwirrung und Korruption sein. Eine Ausnahme stellten höchstens
Situationen dar, in denen es um die Freiheit des Landes überhaupt oder um demokratische Errungenschaften wie die Republik
gehe. Auch dann müßte klar der ausschließliche Zweck des Regierungseintritts benannt werden. Eine solche Ausnahmesituation
aber bestand in Frankreich nicht. Rosa Luxemburgs Meinung war eindeutig: »In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie
dem Wesen nach die Rolle einer
oppositionellen Partei
vorgezeichnet, als
regierende
darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.« 36
Auf dem Pariser Sozialistenkongreß hatte sie zu dem dafür vorgesehenen Tagesordnungspunkt »Die Eroberung der staatlichen Macht
und die Bündnisse mit bürgerlichen Parteien« genau verfolgt, wie kontrovers über Millerands Regierungseintritt gedacht und
gestritten wurde. Die einen priesen diesen Schritt als ein Stück politischer Machteroberung, die anderen verurteilten ihn
als Verrat an den proletarischen Klasseninteressen.
Karl Kautsky lehnte in seinem Resolutionsentwurf Millerands Regierungsbeitritt ab. Er räumte ein, daß ein solcher Schritt
nicht als normaler Weg der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat zu betrachten, allerdings als Notbehelf durchaus
akzeptabel sei. »Ob in einem gegebenen Falle eine solche Zwangslage vorhanden ist«, erklärte er dazu, »das ist eine Frage
der Taktik und nicht des Prinzips. Darüber hat der Kongreß nicht zu entscheiden.« 37 Kautskys Resolution wurde mit großer Mehrheit angenommen, sprach sie doch auch jene an, die für weitgehende Handlungsspielräume
plädierten, wie beispielsweise Ignatz Auer. Jean Jaurès und Eduard Bernstein äußerten sich ebenfalls zufrieden, Georg von
Vollmar betrachtete sie gar als einen Sieg für Millerand. Andererseits wurde Kautskys Resolution gerade wegen ihrer Mehrdeutigkeit
von mehreren abgelehnt. Der französische Sozialist Jules Guesde äußerte, er sei zwar mit Kautsky einverstanden, »daß der Eintritt
eines Sozialisten desorganisierend und verwirrend auf das Proletariat |161| wirkt, weil sein Klassenbewußtsein geschwächt wird«, aber er sei gegen die Resolution, »weil sie der in den ersten Sätzen
verurteilten Auffassung schließlich doch eine Auferstehung bereitet« 38 . Der italienische Sozialist Ferri sagte: »Durch sie wird der Wiederkehr eines Falles Millerand zwar die Tür geschlossen,
aber das Fenster geöffnet. Das Prinzip wird auf ein Plakat geschrieben und gerettet, in der Praxis aber ist alles erlaubt.« 39
Die Debatte um den Millerandismus setzte sich nach dem Kongreß fort. Georg von Vollmar verteidigte Millerand unablässig. 40 In der »Neuen Zeit« hatte sich Kautsky eigentlich selbst äußern wollen. Da Rosa Luxemburg zu den jüngsten Ereignissen in
Frankreich bereits mehrfach sachkundig Stellung
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