Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Luxemburgs Anregungen
verdienten Dank, aber so schlimm liege die Sache denn doch nicht, erklärte er im Schlußwort, denn die Partei hätte nicht geschwiegen. 17
Die rhetorischen Fähigkeiten dieser unbequemen Mitstreiterin beeindruckten ihre Genossen. Rosa Luxemburg wurde von Delegierten
aus Berlin, Bochum, Fürth, Frankfurt am Main, Mainz und Nürnberg als Versammlungsrednerin in den Ortsvereinen eingeladen.
In Hermann Molkenbuhr, Hugo Haase, Adolf Geck und Kurt Eisner gewann sie, wie sie schrieb, neue Parteifreunde. Stolz berichtete
sie ihrem Geliebten: »Eisner erklärte heute beim Mittagessen, ich
beherrsche die deutsche Sprache meisterhaft
(was auch Herzfeld sagte) und daß ich hinsichtlich der Form der beste Redner des
Parteitages
bin!! Was aus seinem Munde ein enormes Lob darstellt.« 18 Sie erfreue sich auf dem Kongreß allgemeiner Sympathie. Clara Zetkin sei gut wie immer, aber sie habe »sich in die Weiberfragen
verstrickt und tritt zu den allgemeinen nicht auf« 19 . Mit dieser ihr imponierenden resoluten und kräftigen Frau tauschte sie am intensivsten ihre Gedanken über Eindrücke und
Folgerungen |156| aus. An manchen Details ergötzte sich Rosa Luxemburg regelrecht, etwa daß sie zwischen Julius Bruhns und Hermann Molkenbuhr
säße, die sie beide mächtig amüsierten, daß Ignatz Auer »süß« täte und einige Male zu ihr gekommen sei, daß sich Richard Fischer
anböte oder daß Joseph Gogowski sie bewundere und sogar Adolf Braun sich einzuschmeicheln suche, obwohl sie ihn en canaille
behandle. 20
Bilanzierend stellte Rosa Luxemburg fest, sie sei die einzige gewesen, »die unsere Richtung konsequent vertrat« 21 . Besonders hob sie die Debatte über die Zollpolitik hervor. »Die Rede von Calwer war ein wahrer Skandal! Ich mußte völlig
unvorbereitet sofort nach ihm sprechen, aber aus Wut sprach ich sehr gut. Dann mußte ich zum zweitenmal sprechen – nach Vollmar,
der es übrigens vermieden hat, mich anzugreifen. Schließlich wurde der
Antrag
Vollmars (der wichtigste) abgelehnt und meine Anträge alle angenommen …« 22 Sie hatte die Ablehnung der Zölle und Zollerhöhungen gefordert, sich für das Prinzip der »offenen Tür« ausgesprochen und
damit gegen Schutzzollpolitik und jegliche Politik der »Interessensphären« nicht nur bezüglich Chinas, sondern aller außereuropäischen
Gebiete Partei ergriffen. Wie ihr August Bebel und andere Delegierte mitteilten, war Georg von Vollmar darüber besonders wütend.
In der Debatte über die Landtagswahlen stimmte Rosa Luxemburg zusammen mit Singer, Ledebour und den Berliner Genossen ab.
»Unsere Richtung kann mit dem
Parteitag
überhaupt sehr zufrieden sein«, frohlockte sie, »1. In der Debatte über die
Weltpolitik
haben wir eindeutig gesiegt, Singer mußte das selbst zugeben. 2. In der
Zoll
debatte selbstredend. 3. Wir setzten durch, daß zwei Neue aus Berlin [Wilhelm Eberhardt und Eugen Ernst] als
Beisitzer
in den Vorstand eintreten! Mir persönlich hat das eine Menge genutzt. […] Viele Delegierte d a n k t e n mir dafür, daß ich Calwer so fertiggemacht habe, sowie für die
Weltpolitik.
[…] Morgen früh fahren wir alle gemeinsam nach Paris.« 23
57 Delegierte der deutschen Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften traten die Reise zum Internationalen Sozialistenkongreß
an, der vom 23. bis 27. September 1900 in Paris tagte und auf dem insgesamt 791 Delegierte aus 21 Ländern vertreten waren.
Rosa Luxemburg wohnte in der ihr seit |157| Jahren bekannten Stadt zusammen mit Clara Zetkin im Hotel Moderne, 3 rue de l’Étoile, chambre 2. Sie besaß zwei Mandate, eins
von der Agitationskommission des Kreises Posen mit 360 Unterschriften und eins vom oberschlesischen Wahlkreis Beuthen-Tarnowitz
und Kattowitz-Zabrze, und gehörte dieses Mal der deutschen Delegation an. Ihre notorischen Gegner innerhalb der PPS fochten
wie 1893 und 1896 ihre Mandate sofort wieder an, hatten aber keinen Erfolg. Gegen Daszyński habe sie »eine glänzende französische
Rede« von einer dreiviertel Stunde gehalten und Beifall bekommen, berichtete sie Leo. 24 Das Büro des Kongresses bestätigte die Mandate Rosa Luxemburgs. Einen »erschüttternden moralischen Eindruck« machte jedoch
auf sie, daß vier emigrierte Studenten, die zur Delegation der SDKPiL gehörten, die gegen Rosa Luxemburg gerichtete Resolution
der PPS mit unterschrieben hatten. Sie forderte über diesen »Streich der vier Kerle« eine korrekte
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