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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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genommen, sich seit 1893 öfters in Paris aufgehalten hatte und noch immer
     in persönlichem Kontakt zu einflußreichen französischen Sozialisten wie Jules Guesde, Marie-Édouard Vaillant und Jean Jaurès
     stand, war Kautsky sehr dafür, daß sie eine Artikelfolge schrieb. In fünf Nummern der »Neuen Zeit« räumte er ihr etwa 50 Seiten
     ein. Das war ein enormes Angebot, das Rosa Luxemburg voll wahrnahm.
    Auf seine Veröffentlichung in den »Sozialistischen Monatsheften« hin hatte Rosa Luxemburg Georg von Vollmar als »Führer der
     deutschen Possibilisten« bezeichnet. 41 Er hatte den Eindruck erweckt, Millerands Regierungseintritt sei in Übereinstimmung mit den französischen Sozialisten erfolgt,
     durch die Resolution Kautskys auf dem Internationalen Sozialistenkongreß von Paris sanktioniert und von der deutschen Sozialdemokratie
     gutgeheißen worden. In der Einleitung zu ihrer Artikelserie »Die sozialistische Krise in Frankreich«, die zwischen dem 16.
     Januar und dem 17. Februar in der »Neuen Zeit« erschien, wurde Vollmar von seiner jungen Kollegin noch einmal vehement kritisiert,
     und dies mit ausdrücklicher Zustimmung Karl Kautskys und Marie-Édouard Vaillants. Vaillant hatte ihr sogar die Genehmigung
     erteilt, einen Brief vom 4. Dezember 1900 abzudrucken, der Millerands Eintritt in das bürgerliche Kabinett als eigenmächtige
     Handlung dokumentierte. Nicht allein, daß Vollmar Wilhelm Liebknechts, August Bebels, Paul Singers und Karl Kautskys Ablehnung
     in einer internationalen Umfrage der Zeitung »La Petite République« ignorierte und seine eigene als deutsche Meinung ausgab,
     erachtete |162| Rosa Luxemburg als kritikwürdig, sondern auch, daß er lediglich Jaurès’ Argumente wiederholte und über den Hergang der Ereignisse
     falsch informierte. Sie polemisierte daher auch und vor allem gegen Jaurès’ Thesen, in denen er die Republik als Übergangsstadium
     einer gemeinsamen Herrschaftsausübung von Bourgeoisie und Proletariat auf dem Weg zum Sozialismus verteidigte.
    Die Artikelserie war de facto eine Fortsetzung ihrer Streitschrift gegen Bernstein und dessen Anhänger. Mit der Untersuchung
     eines »eklatanten Experiments der opportunistischen Taktik des Sozialismus« sollte »der gesamten internationalen Sozialdemokratie
     die Lust an opportunistischen Experimenten« verdorben werden. 42 Aber gerade gegen Jaurès zu Felde zu ziehen fiel ihr alles andere als leicht. Mit seinem hartnäckigen Kampf um die Rehabilitierung
     von Dreyfus hatte er sich den größten Respekt verdient 43 , an seiner sozialistischen Überzeugung war nicht zu zweifeln. Sie schätzte seinen Mut zu neuen Überlegungen, seine Überzeugungskraft,
     befürchtete jedoch, daß seine »Theorie der sozialistisch-radikalen Regierungsfähigkeit« die Spaltung in der französischen
     Bewegung noch vertiefen würde. 44
    Seine »neue Methode« laufe darauf hinaus, daß Sozialisten die Rolle von bürgerlichen Radikalen übernehmen. Dies bringe aber
     die Gefahr mit sich, die revolutionäre sozialistische Oppositionspolitik, wie sie bisher auch für ihn im Kampf gegen Militarismus
     und Antisemitismus selbstverständlich gewesen sei, preiszugeben und zum bloßen Sozialreformertum abzusinken.
    Um stichhaltig argumentieren und auch polemisieren zu können, setzte sich Rosa Luxemburg intensiv mit der Geschichte Frankreichs,
     seiner Klassen, Parteien und Regierungskonstellationen in den drei Republiken seit 1789 auseinander. Sie wußte, daß besondere
     geschichtliche Erfahrungen mitspielten, wenn Jaurès die französische Republik als bedroht hinstellte. Die sozialstrukturellen
     Veränderungen in den letzten 30 Jahren hatten ihr jedoch bewiesen, daß die Republik in Frankreich, einst das gefürchtete Gespenst
     revolutionärer Umstürze, heute für die bürgerliche Gesellschaft keinerlei Gefahr mehr darstellte, daß sie sich sogar »ihren
     Interessen in so glänzender |163| Weise anzupassen weiß wie keine Monarchie der Welt« 45 . Schließlich habe nicht zuletzt der Ausgang der Dreyfusaffäre gezeigt, daß die Angst vor einem Staatsstreich jeglicher Grundlage
     entbehrt. Auch das sozialistische Proletariat schätzte Rosa Luxemburg als »eine feste und achtunggebietende Schutzwehr der
     Republik« 46 ein. Und dies, obwohl alle Kosten für die materiellen Privilegien der besitzenden Klassen schwer auf dem Proletariat lasteten.
    Rosa Luxemburg achtete die Verbundenheit des französischen Volkes mit seinem Staat, doch dürfe

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