Rosa Rosen
kann. Ich danke Dir für diese einzigartige Freundschaft, die über so viele Jahre und sogar zwei Kontinente gehalten hat. Und egal, was passiert, sie wird weiterbestehen.
Ich verspreche Dir, dass ich Dich niemals vergessen werde.
Und vielleicht wird ja doch noch alles gut und irgendwann können wir einander wieder im Arm halten. Und dann pflanzen wir einen neuen Rosengarten.
Ich hab Dich lieb!
Deine ewige Freundin Rachel
*
Abigail konnte nicht aufhören zu weinen, als sie diese Zeilen las. Sie waren 70 Jahre alt und das Letzte, was Rachel ihr geschrieben hatte.
Sie wusste noch genau, wie sie diesen Brief damals erhalten hatte. Und wie sie die Daumen gedrückt und für Rachel und ihre Familie gebetet hatte. Sie mussten es einfach schaffen. Sie hatten doch Hilfe. Aber Abigail wusste auch, dass Mithelfer hart bestraft wurden, wenn herauskam, dass sie Juden Unterschlupf gewährten.
Monate vergingen und Abigail hörte kein Sterbenswörtchen mehr von Rachel. James dagegen meldete sich, so oft er konnte. Per Brief oder Telegramm. Er kam zwischen seinen Einsätzen auch für kurze Zeit nach Hause. Nach seinem zweiten Japan-Einsatz hatte er zwei ganze Wochen, bevor er rüber nach Europa musste. Sie verbrachten die Zeit miteinander so schön, wie es nur ging. Sie kosteten jede Minute aus.
James fragte sie wieder, ob sie ihn nicht heiraten wolle.
„Nach dem Krieg“, antwortete sie wie schon zuvor. Sie wollte, wenn sie später auf ihre Hochzeit zurückblickte, nicht den Krieg in Gedanken haben, als miesen Beigeschmack. Außerdem konnte sie nicht fröhlich feiern, wo sie doch noch immer nichts von Rachel gehört hatte.
Ihr Bruder Dan wäre auch gerne in den Krieg gezogen, doch er humpelte aufgrund einer Knieverletzung, die er sich beim Baseball im letzten High School Jahr zugezogen hatte. Und so musste er von New York aus mit seinen Landsleuten – den Amerikanern – mitfiebern und sie im Kampf gegen die Nazis unterstützen. Er war inzwischen verheiratet und seine Frau erwartete ihr erstes Kind.
*
James traf am D-Day, dem 6. Juli 1944, in der Normandie ein. Amerika und die Alliierten kämpften mit aller Macht gegen die Deutschen. Viele Soldaten fielen. Und Ende Juli stand plötzlich James Vater vor ihrer Tür. Er hielt eine zusammengefaltete US-Flagge in Händen, die ihm am Morgen überreicht worden war, weil sein Sohn im Dienste des Landes und als tapferer Held im Krieg gefallen war.
Für Abigail brach eine Welt zusammen. Der Krieg forderte so viele Opfer, unter ihnen zwei der ihr liebsten Menschen auf der Welt. Was für eine Schande! Sie spürte mehr Wut als Trauer. Am liebsten wäre sie selbst in den Krieg gezogen und hätte der Ungerechtigkeit ein Ende gemacht.
Stattdessen versank sie in einem Meer aus Tränen.
Antworten
Ein Jahr später war der Krieg vorbei. 300 000 US-Soldaten waren gefallen.
Weit über 50 Millionen Menschen waren gestorben. Davon 6 Millionen Juden, die meisten von ihnen in Konzentrationslagern, wo sie vergast oder erschossen worden oder an Kälte oder Seuchen verendet waren. Was hatten die Deutschen damit erreichen wollen? War ihr Land jetzt endlich „rein“? Ihre Herzen konnten es nicht sein. War es das wert gewesen?
Abigail würde es nie begreifen können. Und sie wollte auch nicht länger im Ungewissen bleiben. Obwohl sie sich geschworen hatte, nie mehr nach Deutschland zurückzukehren, konnte sie nicht weitermachen, ohne Gewissheit zu haben.
Und so machte sie sich im Jahre 1948 auf in ihre alte Heimat. Zusammen mit ihrem Bruder Dan, der für eine ungewisse Zeit seine Frau und seine zwei kleinen Kinder sich allein überließ.
„Dan, du musst das wirklich nicht tun. Ich kann allein fahren. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.“
„Das weiß ich“, sagte er und sah sie eindringlich an. „Aber ich kann auch nicht länger in Ungewissheit leben. Und ich will Vater endlich Antworten bringen. Er geht sonst noch daran zugrunde.“
Er sprach von Levi, ihrem älteren Bruder. Sie hatten vor Kriegsbeginn zum letzten Mal von ihm gehört. Und sie dachten sich alle das Gleiche. Doch es nicht genau zu wissen, konnte einen um den Verstand bringen. Wenn sie endlich wüssten, was geschehen war, könnten sie es akzeptieren, mit der Vergangenheit abschließen und sich auf die Zukunft konzentrieren.
Sie begaben sich erneut auf ein Schiff und überquerten den Atlantischen Ozean. In Hamburg angekommen, suchten sie ihr altes Haus auf, das es nicht mehr gab. Ihre Wohngegend war
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