Rosa
zittern. »Er lebt«, sagte Betty. »Victor!«
Victor schlug die Augen auf und bewegte die Lippen; er gestikulierte heftig mit einer Hand, wie Sterbende es tun, wenn sie noch etwas sagen wollen. Betty hielt ihn im Arm und legte ihr Ohr an seinen Mund. Ich schleifte den bewusstlosen Kars vom Bett weg und ließ ihn gegen die Wand sacken. Ich war auf dem Weg zur Tür, als Nel hereinkam, die Medikamentenschwester auf den Fersen. »Da ist schon eine Schwester von Meneer de Vries …«, begann die Schwester verärgert.
»Er hat zwei Schwestern, okay?« Nel sah das Chaos und den auf dem Boden liegenden Kars. »Mein Gott …« Der Gesichtsausdruck der Schwester verwandelte sich und sie trat sofort ans Bett und betätigte den Knopf, den ich übersehen hatte. Kurz darauf erschienen zwei weitere Schwestern, dann ein Arzt. Sie forderten Betty auf, aus dem Weg zu gehen und umringten Victor, schlossen ihn an Sauerstoff und diverse Apparate an. Eine Schwester sprach in ein Funktelefon.
Ich stand neben Kars, der sich wieder rührte. Die telefonierende Schwester bemerkte ihn und kam besorgt auf uns zu. »Was ist denn mit dem los?«
Sie wollte sich neben Kars hinhocken, aber ich hinderte sie daran. »Ihm fehlt nichts, er hat nur einen kleinen Klaps auf den Kopf gekriegt.« Ich winkte mit dem Ausweis von Meulendijk. »Das ist ein Fall für die Polizei. Ist jemand vom Sicherheitsdienst im Haus?«
Sie nickte und verließ das Zimmer. Kars fing an zu stöhnen. Nel reichte mir Plastikhandfesseln aus ihrer Tasche und ich rollte Kars mit dem Gesicht zur Wand, führte seine Handgelenke auf dem Rücken zusammen und zog die Fesseln stramm darum. Betty ging zum Einbauschrank und versetzte Kars im Vorbeigehen einen Tritt in die Seite. Er schrie auf.
Pfleger schoben eine Bahre herein. Betty öffnete den Schrank, holte eine graue Windjacke heraus und fing an, die Innentaschen zu durchsuchen.
Ich trat hinter sie. »Was machst du da?«
»Er hat etwas zu mir gesagt …«
Sie fand einen kleinen Umschlag, öffnete ihn. Ein flacher Schlüssel und eine Karte steckten darin. Sie schaute mich fragend an. Ich las die Buchstaben KBC und erkannte, was für ein Schlüssel es war.
»Einstecken«, flüsterte ich.
Sie tat es. Ich stellte mich schützend vor sie, nahm ihr die Jacke ab und hängte sie zurück in den Schrank. Hinter uns sagte der Arzt: »Auf drei. Eins, zwei, drei!«
Ich schaute mich um. Victor lag auf der Bahre, sie legten ihm eine Infusion und rollten ihn aus dem Zimmer. Niemand hatte auf uns geachtet, nicht einmal Nel.
»Was ist das?«, flüsterte Betty.
»Der Schlüssel zu einem Schließfach. Du musst mich später mit deiner Aussage decken, du bist Zeugin.« Mit einem Nicken wies ich auf ihre Tasche. »Aber sag davon nichts, wir gehen morgen mal nachschauen, jetzt ist sowieso geschlossen. In Ordnung?«
Betty nickte und wandte sich an die Medikamentenschwester, die als Einzige zurückgeblieben war. »Wo wird mein Bruder hingebracht?«
»Auf die Intensivstation, die ist ein Stockwerk höher. Sie können nicht zu ihm, aber es gibt einen Warteraum. Ich werde … Was soll das denn?«
Sie schaute erschrocken zu dem Mann auf dem Fußboden, der sich auf den Rücken gewälzt hatte und plötzlich anfing zu fluchen und um sich zu treten. Nel ging mit einem beherzten Schritt zu ihm hin, bückte sich und packte ihn an den Haaren. »Halt die Klappe oder ich schlag dich bewusstlos!«
Die Schwester erbleichte. Kars spuckte nach Nel, traf aber nicht. Sie hielt Kars weiter an den Haaren, doch bevor sie ihn mit dem Kopf auf den Boden knallen konnte, fragte jemand: »Was ist hier los?«
Nel ließ von Kars ab. »Nichts weiter. Dieser Kerl hier hat versucht, einen Patienten zu ermorden. Sind Sie vom Sicherheitsdienst?«
»Dieser Scheißkerl«, zischte Betty. »Ich bin bei Victor, falls ihr mich braucht.« Sie ging und die Schwester folgte ihr.
Der Mann vom Sicherheitsdienst hieß Jean Baron, ein gedrungener Fünfziger in grauer Uniform. Ich gab ihm meinen Ausweis und eine kurze Zusammenfassung. Baron bückte sich zu Kars und kontrollierte seine gefesselten Handgelenke. »Das ist ein Fall für die Polizei«, sagte er.
»Machen Sie mich los!«, forderte Kars. Seine Augen funkelten Baron fiebrig an. »Ich bin Journalist, mein Presseausweis steckt in meinem Portmonee. Ich habe diesen so genannten Patienten aufgespürt. Sein Name ist Victor de Vries und er wird in den Niederlanden wegen Raubüberfall und Mord gesucht. Ich wollte lediglich verhindern,
Weitere Kostenlose Bücher