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Rosa

Rosa

Titel: Rosa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Organspenden anonym. Die Familie erfährt nie, wohin ein Organ gelangt ist, wobei das überall in ganz Europa sein könnte, und der Empfänger erfährt nie, woher es stammt. Das ist gesetzlich so geregelt, wahrscheinlich um ein Anliegen wie ihres von vornherein zu verhindern. Nicht jeder hegt gute Absichten.«
    »Man hat mir viel Positives über Ihren Einfallsreichtum berichtet«, erwiderte sie.
    »Über welche Informationen verfügen Sie genau?«
    »Lediglich das Datum des Unfalls.«
    »Wurde nur ihr Herz transplantiert?«
    Ihr Gesicht wurde ernst. Bevor sie den Blick abwandte, sah ich, dass ihre Augen feucht wurden, und ihre Stimme stockte kurz. »Es war ein furchtbares Unglück. Mein Mann war auf der Stelle tot. Der Körper meiner Tochter war schlimm zugerichtet, nur ihr Herz war unversehrt. Als wollte es nicht sterben.« Sie schwieg einen Augenblick. »Wussten Sie, dass das Herz der Johanna von Orléans das Einzige von ihr war, was nicht verbrannt werden konnte?«
    Ich dachte an mittelalterliche Pathologie und exaltierte Geschichtsschreibung und schüttelte den Kopf. Mich überkam nicht nur das Bedürfnis nach Lärm, sondern auch nach einem Schnaps. »Haben Sie Ihre Zustimmung zur Transplantation erteilt?«
    Das brachte sie auf den Boden der Tatsachen zurück. »Nein.«
    »Bei Spendern über sechzehn ist das auch offiziell nicht nötig, aber ich dachte, dass dennoch stets die Eltern oder andere Angehörige gefragt würden, und sei es nur als Akt der Höflichkeit.«
    »Sie haben es versucht, konnten mich aber nicht erreichen.«
    Ich runzelte die Stirn. »Warum nicht?«
    »Ich war in Armenien.« Wieder schwieg sie für einen Moment. »Ich erfuhr es zwei Tage später von meinem Anwalt, da war schon alles zu spät. Ich kam gerade noch rechtzeitig zur Beisetzung.«
    »Ist Ihr Anwalt dieser Meneer Rupke?«
    »Ja.«
    »Konnte er nicht mehr herausfinden?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Rupke erledigt nur geschäftliche Angelegenheiten, und ich habe ihm nicht erzählt, wofür ich einen Privatdetektiv benötige. Dabei will ich es vorläufig auch belassen. Ich verlange absolute Diskretion.«
    Ich nickte. Ich sah schon die Boulevardblätter vor mir. Mutter sucht Herz ihrer Tochter. »Sie hören von mir.«
    »Sie müssen sie vor September finden«, sagte sie.
    »Was ist im September?«
    »Sirouns einundzwanzigster Geburtstag. Wir hatten vor, ihn in Armenien zu feiern.« Sie zögerte einen Moment. »Wir wollten für immer dort bleiben.«
    »Für immer?«
    »Wir haben dort ein Projekt …« Ihre dunklen Augen. »Dort liegen unsere Wurzeln.« Sie lachte leise, sie war jetzt freundlicher. »Vielleicht meinen Sie, Armenier hätten keine Wurzeln. Wir sind das am weitesten verstreut lebende Volk der Welt, daran sind hauptsächlich die Türken schuld. Meine Familie lebte in Frankreich. Vor sechs Jahren bin ich das erste Mal nach Armenien gereist, zusammen mit Siroun. Damals war sie vierzehn. Wir waren kaum angekommen, da wusste ich, dass wir dort hingehörten.«
    »War Rosa der gleichen Meinung?«
    Ich hatte wohl etwas Falsches gesagt. »Mir wäre es lieber, wenn Sie sie Siroun nennen würden.«
    »Haben Sie sie immer so genannt?«
    »Anfangs nicht …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. »Joachim und ich hatten vor, uns scheiden zu lassen«, fuhr sie dann fort. »Aber das spielt ja jetzt keine Rolle mehr. Sein Tod macht alles einfacher.«
    Das klang ziemlich kalt und so konterte ich mit einer sachlichen Frage. »Finanziell gesehen?«
    »Wir hätten uns schon geeinigt. Er wusste von unserem Projekt. Ich bin schon seit Langem dabei, mich von dem Betrieb unabhängig zu machen. Finanziell gesehen.« Sie lächelte ein wenig spöttisch. »Mit Ihren Bedingungen bin ich einverstanden.«
    »Aber ich habe sie Ihnen doch noch gar nicht genannt.«
    »Ich werde zehntausend Euro auf Ihr Konto überweisen«, sagte sie. »Ich nehme an, wir sehen uns, bevor dieser Betrag aufgebraucht ist? Sonst lassen Sie es mich einfach wissen.«
    Reichtum ist doch etwas Schönes. Ich schrieb ihr meine Bankdaten auf und behauptete, sie würde ordentliche Abrechnungen erhalten.
    Wir verließen den Raum. Ihr Kleid rauschte vor mir her die Treppe hinunter. Henri, der Hausdiener, war nirgends zu sehen. Der Lärm und die Geräuschfetzen der normalen Welt drangen gedämpft durch das Holz oder die Spalten der Eingangstür herein. Vielleicht hatte Arin Reider vor einiger Zeit entdeckt, dass ihr Leben eine recht willkürliche Größe war, und hatte sich auf die Suche nach

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