Rosa
einem Anker begeben, einem Halt, einem armenischen Projekt, irgendetwas für ihre und mit ihrer Tochter. Ohne die Tochter verlor das Projekt seine Bedeutung, doch sie träumte weiter, in dem Wahn, dass ein Ding sie glücklich machen konnte.
»Ich hoffe, dass Sie sie bald finden«, sagte sie.
»Ich werde mein Bestes tun.«
Sie nickte. Wahrscheinlich ahnte sie, dass ich an ihren Motiven zweifelte, denn bevor sie mir die Tür öffnete, fügte sie hinzu: »Ich will nur das Beste für die Trägerin von Sirouns Herz.«
Wow, dachte ich. Das Herz und das Vermögen.
5
»Schickt ruhig eine gesalzene Rechnung«, sagte Nachbar Harm Bokhof, als ich ihn abends beim Nachhausekommen mit CyberNel im Heuschober antraf.
Ich grinste ihn an. »Und das aus dem Mund des Vorsitzenden!«
Er zog ein Gesicht wie eine scheinheilige Bulldogge. »Die können sich das leisten.«
»Ich habe nicht viel mehr getan, als eine Nacht in den Computern herumzuschnüffeln«, meinte Nel bescheiden.
Ich fuhr mit einer Hand durch ihr braunes Haar, das länger und glänzender geworden war. CyberNel war noch immer meine kapriziöse kleine Freundin mit den klugen grünen Augen, dem Wölkchen Sommersprossen um die Nase und dem messerscharfen Verstand. Das einzig Neue seit ihrer Mutterschaft war, dass sie sich weniger bereitwillig Kugeln oder Fäusten entgegenwarf und dann und wann besorgt über die überbevölkerte Welt voller Terroristen und Fundamentalisten philosophierte, in der Hanna Cornelia aufwachsen musste.
Harm Bokhof, einer der großen Obstbauern, hatte mir schon früher einmal Arbeit im Zusammenhang mit vermuteten Unregelmäßigkeiten bei der Kooperative Obstversteigerung besorgen wollen, deren Vorsitzender er war. Es war nur ein unbedeutender kleiner Auftrag, und ich wusste, dass Harm ihn uns vor allem deswegen zuschanzte, weil er glaubte, wir verdienten nicht genug. Er würde mich lebenslang begünstigen, weil ich ihm damals, als er des Mordes an meiner ehemaligen Nachbarin verdächtigt wurde, viel Ärger erspart hatte. Er hatte ein wasserdichtes Alibi gehabt, das ihn jedoch sowohl seinen guten Ruf als Mitglied des Kirchenbeirats als auch seine Ehe gekostet hätte, wenn die Details publik geworden wären. Da ich inzwischen ahnte, wer der wirkliche Täter war, wurde die Tatsache, dass sich Harm dienstagnachts regelmäßig mit seiner Lieblingsprostituierten in einem Sexclub amüsierte, was mich betraf, irrelevant, aber Harm blieb felsenfest davon überzeugt, dass ich mich unglaublich anstrengen musste, um seine Eskapaden geheim zu halten. Seitdem lieferte er uns seine Dankbarkeit regelmäßig frei Haus: in Form von Äpfeln, Birnen und Wagenladungen Brennholz, denn so geht es nun mal auf der Welt.
Das bisschen Arbeit hatte Nel erledigt.
»Hast du etwas gefunden?«, fragte ich.
»Ja. Eine Ladung Obst, Handelsklasse B, verwandelt sich irgendwo auf dem Weg zur Versteigerungsglocke in Klasse D, gut für die Musfabrik, wird aber vor dem Transport zum Großhändler wieder zu B. Die Differenz bleibt irgendwo hängen. Die sind schlau genug, das nur zwei-, dreimal pro Jahr zu machen, und dann nur mit Ware von den Großbauern, die zehn Partien gleichzeitig versteigern und nur auf den Endbetrag schauen. Ich bin zufällig dahinter gekommen, weil die vergessen haben, die alten Anlieferlisten zu vernichten. Auf denen notieren die Bauern selbst eine vorläufige Klassifizierung, die Leute wissen ja ungefähr, was sie verkaufen.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete, aber Harm natürlich schon. »Kleine Fische«, sagte er. »Einer von den Warenprüfern, ich weiß auch schon, wer. Er macht fiftyfifty mit einem Großhändler.« Er steckte Nels Bericht in die Innentasche und ging zur Tür.
»Betrug? Polizei? Gefängnis?«, fragte ich.
Das bremste ihn. »Und womöglich auch noch Presse und Fernsehen?« Er klopfte auf seine Innentasche. »Schickt ihr das an die Polizei?«
»Der Klient erhält die einzige Kopie«, erklärte Nel. »So gehört sich das.«
»Und der Klient kümmert sich um die Angelegenheit«, sagte Harm.
»Willst du damit sagen, dass in Kürze jemand mit Gipsbeinen durch die Versteigerungshallen hinkt?«
Er lachte, ohne beleidigt zu sein. »Solltet ihr mal wieder eine flaue Auftragslage haben, suche ich euch ganz schnell ein paar neue Klienten.«
»Ist unsere Auftragslage flau?«, fragte Nel mich.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ab sofort beschäftigen wir uns mit Metempsychose.«
»Mit was?«, fragte Harm.
»So was Ahnliches
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