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Rosa

Rosa

Titel: Rosa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Blutung zu stillen: Die Chirurgin steckte den Finger in die Öffnung und ließ ihn dort, bis sie im Krankenhaus eintrafen, das man bereits alarmiert hatte. Der Patient wurde an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, doch der Kardiologe, der den Fall übernahm, erkannte bereits nach fünf Minuten, dass das Herz nicht zu retten war. Wir glaubten schon, alle Mühe sei umsonst gewesen, doch dann hörten wir, dass man Professor Kuller gerufen hatte, weil auf dem Tisch im Operationssaal nebenan eine verstorbene Patientin lag, die Spenderin war.« Sie stand auf, ging zu einem Schrank. »Ich brauche einen Schnaps«, sagte sie. »Für Sie auch einen?« Sie hielt eine Flasche hoch.
    »Wir müssen noch Auto fahren.«
    Sie nickte gleichgültig, schenkte Jenever in ein kleines Glas und trank es halb aus, bevor sie an den Tisch zurückkehrte. »Aber ich darf Ihnen wirklich keine Namen nennen.«
    Ich sehnte mich nach frischer Luft, wagte aber die vertrauliche Atmosphäre nicht zu stören, indem ich von mir aus die Fenster öffnete. »Unsere Klientin möchte nur wissen, ob das Herz verwendet wurde oder nicht«, sagte ich. »Die Spenderin war ihre Tochter.«
    Anna Vogel blickte von mir zu Nel und wieder zurück. »Sie sollten gut darüber nachdenken, was sie ihr erzählen«, meinte sie.
    »Das ist uns nur allzu deutlich bewusst«, sagte ich.
    »Und Sie dürfen meinen Namen nicht nennen.«
    »Versprochen«, sagte Nel.
    »Das Problem für einige von uns ergab sich erst hinterher, ich hoffe, Sie können das verstehen. Wir fragen uns nicht, was genau geschehen ist, wir sehen nur Opfer, Patienten.« Anna Vogel verzog den Mund. »Wir gerieten in eine Situation, die niemand je zuvor erlebt hatte und die höchstens einmal in hundert Jahren vorkommt. Auf dem einen Operationstisch liegt ein Mann, der stirbt, wenn ihm kein neues Herz eingepflanzt wird. Auf dem Tisch daneben liegt eine hirntote Person, die ein geeignetes Herz besitzt und überdies Organspenderin ist. Was soll man tun? Dieser Mann ist unser Patient, wir sind für ihn verantwortlich. Alles war umsonst, wenn man diese eine Chance nicht beim Schopfe ergreift.«
    »Das klingt logisch«, sagte Nel.
    Die nichtsterile Operationsschwester umfasste das Jeneverglas mit Daumen und Zeigefinger. »Das Crossmatch war ruck, zuck erledigt, alles stimmte. Der Mann hätte auf die Warteliste gesetzt werden müssen, aber das hat im Grunde niemanden interessiert. Das Schlimme war, dass man die offizielle Nummer eins auf der Liste bereits benachrichtigt hatte, obwohl das öfter vorkommt.«
    »Der Patient aus Zevenaar«, sagte Nel.
    Anna Vogel strich über das Glas. »Die Rechnung geht immer auf. Ein Mensch stirbt, weil er kein Herz bekommt, aber das Herz wurde jemand anderem eingepflanzt und dieser Mensch lebt.« Sie hob den Blick. »Der Patient von der Warteliste war angerufen worden und hatte sich auf eine Transplantation vorbereitet. Später haben wir erfahren, dass er zwei Tage nach dem Ereignis gestorben ist. Dieser Mann liegt in seinem Bett, starrt an die Decke und weiß, dass er noch zehn oder zwanzig Jahre hätte leben können, wenn er dieses Spenderherz erhalten hätte. Natürlich hat man ihm erzählt, das Herz sei nicht geeignet gewesen, was soll man sonst machen. Aber als wir erfuhren, wie sich der Unfall ereignet hatte, ging es der anderen Schwester und mir ziemlich schlecht.« Sie presste die Lippen aufeinander. »Wollen Sie der Mutter wirklich erzählen, dass das Herz ihrer Tochter dem Verkehrsrowdy eingepflanzt wurde, der sie totgefahren hat?«
    Sie griff hastig nach ihrem Glas und trank es aus.
    »Von uns erfährt sie das nicht«, sagte Nel nach einer Weile.
    Die Frau stand auf, sie wollte uns loswerden. Wir hatten keine weiteren Fragen mehr. Sie ging uns voraus durch den Flur, mit den hohen, steifen Schritten eines alten Pferdes. Frische Utrechter Stadtluft wehte zur Tür herein.
    »Eine Tochter zu verlieren ist schon schlimm genug«, sagte Anna Vogel, als wir ihr die Hand schüttelten. »Vielleicht war das die Strafe für die Abtreibung.«
    Ich war einigermaßen überrumpelt. »Eine Abtreibung?«
    »Das wurde erst auf der Suche nach weiteren brauchbaren Organen oder Gewebe entdeckt, oder bei der Autopsie, das weiß ich nicht mehr. Das Mädchen hatte kurz vor ihrem Tod eine Abtreibung vornehmen lassen.«
     
    CyberNel setzte sich im Heuschober an ihren Computer und ich kehrte gerade die Terrasse, als sie zurückkam. Vielleicht konnten wir mit dem Ruderboot rausfahren und in Rustwat

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