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Rosa

Rosa

Titel: Rosa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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bevor.
    Darüber denkt man erst nach, wenn Armageddon hereinbricht.
    »Hallo, Meneer? Mevrouw Vogel arbeitet nicht mehr hier. Ich vermute, sie ist in Rente.«
    Manchmal muss man in diesem Beruf schneller denken als ein Computer.
    »Das kann gut sein«, antwortete ich. »Es geht nämlich um eine kleine Rentenversicherung bei der Amersfoortse. Mevrouw Vogel hat damals zwei Jahre lang in einer Privatklinik gearbeitet, das fällt unter eine gesonderte Gruppenversicherung. Das Problem ist, dass sie nicht mehr unter der auf der Police angegebenen Adresse wohnt. Wenn Sie mir ihre letzte Adresse nennen würden, könnte ich ihr die Unterlagen zuschicken.«
    Auch die schönsten Telefonistinnen der Welt arbeiten nach einigen Jahren in diesem Beruf wie Automaten, sie verbinden einen weiter, fragen selten oder nie, wer man ist, haben keine Zeit, Unsinn zu überprüfen, solange der plausibel klingt, und suchen, noch ehe man richtig ausgeredet hat, in ihren Computern herum.
    Die Adresse hörte sich gut an, und wenn Anna Vogel tatsächlich in Rente war, hatte sie wahrscheinlich genügend Zeit für ein Schwätzchen.
     
    Das Mietshaus befand sich in einem Viertel von Utrecht, das man ebenso wie Hoog Catharijne und den Vleutenseweg schon längst hätte abreißen sollen, und Anna Vogel sah ungefähr genauso heruntergekommen aus, eine magere, ungesunde Frau Mitte fünfzig in einem verschlissenen, schwarz-weiß gestreiften Kleid. Ihr stark ergrautes Haar trug sie in einem glatten Pagenschnitt und ihre mattbraunen Augen waren hinter einer Hornbrille verborgen, die von Schweiß und Alter trübe geworden war. Vielleicht war sie früher einmal hübsch gewesen, doch ein hartes Leben hatte ein Netzwerk von Falten und Furchen und hier und da eine Warze auf ihrem Gesicht hinterlassen und ihren Augen den Glanz geraubt. Die Augen vermieden direkten Blickkontakt und verrieten nicht, ob sie eine alte Jungfer war, eine im Stich gelassene Ehefrau, eine Hausmaus oder eine aufbrausende Kneipengängerin. Sie besaß den hohen, steifen Rücken eines überarbeiteten Zechenkumpels und ihr Atem roch nach Jenever.
    Nel erklärte, weshalb wir kamen, und sie erwiderte sofort: »Das dürfen Sie nicht mich fragen, ich bin in Frührente. Mein Rücken …«
    »Aber vor zwei Jahren waren Sie noch Operationsschwester.«
    »Die nichtsterile Schwester«, sagte sie mit überraschender Selbstironie.
    »Es geht um eine Herztransplantation am 4. Januar 2001. Können Sie sich daran noch erinnern?«, fragte ich.
    Der Ausdruck in ihren Augen veränderte sich kaum merklich. »Ich weiß nicht, warum ich Ihnen darüber Auskunft geben sollte.«
    Ich zögerte keinen Augenblick. »Unsere Klientin wird Sie für Ihre Zeit und Mühe gern entschädigen.«
    Sie reagierte, wie ich erwartet hatte, doch sie schien sich dafür zu schämen. »Was meinen Sie mit ›entschädigen‹?«
    »Dreihundert Euro?«
    Sie wollte uns erst nicht hereinlassen, bis Nel ihr versicherte, dass wir ebenfalls in einem Augiasstall lebten, und wir folgten ihr in eine nach Katzen und zerkochtem Gemüse stinkende Mietwohnung. Die Fenster im Wohnzimmer waren geschlossen. Ein Kruzifix hing an der Wand über dem Tisch. Zwei Katzen lagen auf einem verschlissenen Sofa und sahen fern, Schälchen mit Katzenfutter und Wasser auf dem Fußboden vor ihnen. Anna Vogel deutete auf zwei Korbsessel und blieb selbst abwartend stehen. Ich zückte mein Portmonee und blätterte dreihundert Euro auf den Tisch. Sie schaute sie mit gemischten Gefühlen an und ließ sie liegen. »Wie sind Sie auf mich gekommen?«
    »Meneer Hogendoorn dachte, Sie könnten uns helfen.«
    »Hat Rutger Sie geschickt?«
    Ich erriet nicht, ob das gut oder schlecht war, doch Nel sagte: »Wir sollen Sie von ihm grüßen.«
    »Oh.« Sie lächelte nicht, wirkte eher verwirrt. »Was möchten Sie eigentlich wissen?«
    »Wir arbeiten für die Mutter der jungen Frau, die am 4. Januar verunglückt ist.« Ich wies mit dem Kinn auf die Geldscheine. »Sie war ihre einzige Tochter und die Dame verlor bei dem Unfall zugleich ihren Mann. Das Mädchen war Organspenderin, und die Mutter möchte gerne wissen, ob ihr Herz damals wirklich verpflanzt wurde. Das wäre ihr ein Trost.«
    »Warum zweifelt sie daran?«
    »Weil Nummer eins auf der Warteliste ihr Herz nicht bekommen hat und der nächste Patient erst am 9. Januar ein neues Herz erhielt«, sagte Nel.
    Anna Vogel setzte sich endlich und schaute Nel an. Sie fragte nicht nach, woher unsere Informationen stammten. »Kann sein,

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