Rosa
Stimmung war von Anfang an gespannt. »Sind Sie auch in diesem Beruf tätig?«, begann sie mit jener herablassenden Freundlichkeit, mit der Frauen einander zu Leibe rücken.
Nel war weniger subtil. »Sollten Sie Probleme mit einem bösartigen Virus haben, kann ich Sie Ruck, zuck davon befreien.« Sie wartete eine volle Sekunde, bevor sie mit einem Nicken zu den Computern auf Arins Schreibtisch wies. »Ich bin Computerspezialistin.«
»Interessant«, sagte Arin, und mit einer Geste zum Konferenztisch: »Soll ich Kaffee bringen lassen?«
»Vielen Dank«, sagte Nel. »Ich muss gleich wieder weiter.«
»Lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten. Sie vielleicht?«
Ich lehnte dankend ab und setzte mich. »Unsere Arbeit wird zu siebzig Prozent mit dem Computer erledigt«, sagte ich.
Nel gab mir mit einem kühlen Blick zu verstehen, dass sie keine Schützenhilfe von mir brauchte. Sie zog den Umschlag aus der Tasche, schob ihn über den Tisch der Armenierin zu und sagte: »Wir haben den Auftrag schnell erledigt. Ich werde die Hälfte des Vorschusses an Sie zurücküberweisen.«
Arin nahm den Umschlag vom Tisch, ohne Nel anzuschauen. Sie zog das Blatt heraus und las den kurzen Text. Sie erbleichte. »Ein Mann?«
»Sonst hätte es Victoria …« Nel klappte den Mund zu, als ich sie unter dem Tisch an den Fußknöchel trat.
Ich erkannte, dass Arin ihre Enttäuschung nur mühsam beherrschte. »Es hätte auch jemand aus Osterreich sein können«, bemerkte ich. »Das hätte die Suche erheblich erschwert.«
»Sind Sie sich sicher?« Ihre Stimme zitterte.
»Hundertprozentig.«
»Wie haben Sie es erfahren?«
»Wir haben mit einem Mitglied des Transplantationsteams gesprochen.«
»Mit wem?«
Ich schüttelte den Kopf. »Die betreffende Person möchte anonym bleiben. Das hat sie zur Bedingung gemacht und wir respektieren das.«
Sie bewegte das Blatt Papier. »Ich habe also nur Ihr Wort?«
»Wenn Sie nicht zufrieden sind, überweisen wir den gesamten Vorschuss zurück«, sagte Nel. Mir wurde auf einmal klar, dass sie nicht auf Arin böse war, sondern auf die Mutter, die so wenig von ihrer Tochter wusste.
Arins Gesicht schien plötzlich gealtert. »Nehmen Sie es mir nicht übel«, sagte sie. »So habe ich es nicht gemeint.
Ich meine ja nur …« Sie warf Nel einen fast flehentlichen Blick zu. »Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja«, sagte Nel.
»Ich kann mir vorstellen, dass Sie enttäuscht sind«, sagte ich. »Aber ein Irrtum ist ausgeschlossen. Dies ist der junge Mann, der das Herz Ihrer Tochter erhalten hat.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Das war nicht Teil unseres Auftrags, aber wir haben versucht, ihn anzurufen, um die Adresse zu überprüfen. Wir haben allerdings niemanden erreicht.«
Sie spitzte die Lippen. »Was ist er für ein Mensch?«
»Fünfundzwanzig Jahre alt, unverheiratet, arbeitet in einer Bar.«
Sie zuckte zusammen. »Ein Barkeeper? Ist das alles, was Sie über ihn wissen?«
Ich wechselte einen Blick mit Nel und zuckte mit den Achseln. »Er ist einige Male mit dem Gesetz in Konflikt geraten«, sagte Nel. »Diebstahl und Einbruch.«
Arin starrte mit leerem Blick vor sich hin. Ich sah, wie ihre Augen feucht wurden. »O mein Gott«, flüsterte sie. »Deswegen braucht sie meine Hilfe.«
»Warum glauben Sie das?«, fragte Nel.
»Sie besucht mich jede Nacht im Traum. Jetzt verstehe ich. Ich muss sie retten …«
Nel runzelte die Stirn und erwiderte: »Ihre Tochter ist tot, Sie leben Ihr eigenes Leben. Es wäre gesünder, die ganze Sache zu vergessen.«
Arin schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Es ist das Herz, das Gott fühlt, nicht der Verstand. Das hat doch Ihr Pascal selbst gesagt.«
»Pascal hat so viel über alles Mögliche gesagt, dass man eine Privatbibel damit füllen könnte«, erwiderte Nel.
»Unter anderem, dass der Mensch am bereitwilligsten Böses anrichtet, wenn er aus religiöser Überzeugung handelt.«
Arin biss die Zähne zusammen. »Es ist gerade ein neuer Film angelaufen«, antwortete sie. »Ararat. Vielleicht sollten Sie sich den mal ansehen, wenn Sie etwas über die bereitwillige Durchführung von Völkermord wissen wollen.«
Sie nahm den Umschlag und ging damit ans Fenster. Ich starrte Nel an. Sie zog die Augenbrauen hoch. Na und?, besagte ihr Blick. Die Stille hing drückend im Raum, während Arin mit dem Rücken zu uns unverwandt aus dem Fenster schaute.
Sie drehte sich um und sah mich an, nicht Nel. »Ich möchte alles über diesen Mann wissen«,
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