Rosa
Herz nicht geeignet war, ist auch das Rätsel mit der Warteliste gelöst. Wäre Lessing nicht als Empfänger infrage gekommen, hätte Barbara Steenwijk das Herz erhalten. Du kannst ruhig alle auf der Liste anrufen, ich wette, niemand hat am 4. Januar ein neues Herz erhalten.«
»Wo ist es dann geblieben?«, fragte Nel.
»Im Grab oder im Verbrennungsofen.«
Sie dachte nach und schüttelte den Kopf. »Du vergisst eine Kleinigkeit. Professor Kuller hat am 4. Januar eine Transplantation durchgeführt.«
»Und wenn die nicht geklappt hat?«
Sie schaute mich mitleidig an. »Unmöglich. Kuller kommt nicht, um Herzen herauszunehmen, das erledigt ein anderer Chirurg. Kuller kommt nur, wenn ein Herz überprüft wurde und eingepflanzt werden kann.«
»Ich glaube, du willst gar nicht nach Spanien.«
Sie klopfte auf die Papiere. »Ein Herztransplantationsteam von acht Leuten war bei einem Eingriff eingesetzt, der deiner Meinung nach nicht stattgefunden hat. Beweise das erst mal. Such dir irgendeinen aus.«
»Mit welcher Ausrede?«
Sie lächelte mich an. »Deine ganze Geschichte ist eine einzige Ausrede.«
Am nächsten Morgen fingen wir oben auf der Liste an. Professor Kuller stand vermutlich in irgendeinem Flur, unterwegs zur nächsten Operation, als ich ihn nach viel Hin und Her mit seiner Sekretärin an den Apparat bekam.
»Ich habe wirklich keine Zeit«, sagte er. »Außerdem rede ich nicht über meine Arbeit.« Er lachte. »Da müssen Sie sich schon an die Dandys vom Dijkzicht-Klinikum oder die Glamourboys von der plastischen Chirurgie und den Brustvergrößerungen wenden. Wir sind die normalen Jungs.«
»Ich bin nicht von der Presse«, sagte ich. »Es geht um eine Transplantation im Januar 2001.«
»Die meisten Informationen über Transplantationen fallen unter das Datenschutzgesetz. In wessen Auftrag fragen Sie eigentlich? Meine Sekretärin hat sich nicht besonders klar ausgedrückt.«
»Es geht um eine Transplantation am 4. Januar 2001.«
»Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.«
Er unterbrach die Verbindung.
Ich hätte einen Termin mit dem Anästhesisten vereinbaren können, aber erst in drei Wochen, sofern es sich nicht um einen Notfall handelte. Die sterile Schwester war in Urlaub. Der Perfusionist, was immer das auch sein mochte, wenn nicht ein neuartiger Schlagzeuger im Concertgebouworchester, steckte mitten in einer Operation; ob ich es später noch einmal versuchen könne.
Das UMC verfügte Gott sei Dank über eine gut besetzte Zentrale, wieder meldete sich eine andere Stimme. »Universitair Medisch Centrum?«
Oft klingen die Meldungen der Telefonistinnen wie eine Frage, als seien sie sich nie hundertprozentig sicher, wo sie eigentlich arbeiteten. »Könnten Sie mich bitte mit Mevrouw Anna Vogel verbinden? Sie ist OP-Schwester in der Kardiologie.«
»Einen Augenblick bitte.«
Ich schaute nach draußen, wo Nel halb nackt in der Sonne saß. Niederländische Frauen sind die schönsten der Welt. Das ist allgemein bekannt. Vor kurzem kratzten sich eintausend wunderschöne Mädchen aus aller Herren Länder gegenseitig die Augen aus, um einen der zehn Ausbildungsplätze an der schicksten Mannequinakademie von Paris zu ergattern. Fünf der zehn Gewinnerinnen waren Niederländerinnen. Nur mal so am Rande.
Natürlich waren diese Mädchen alle größer und besaßen außerdem die erforderlichen Mannequinmaße, aber Nel hätte leicht die Endrunde erreicht, wenn sie jemanden mit sexy Größe 38 gesucht hätten und ich Mitglied der Jury gewesen wäre. Doch CyberNel hätte sowieso nicht mitgemacht, denn seit ihr Vater, der Fahrradmechaniker, ihr zu ihrem sechsten Geburtstag einen gebrauchten IBM geschenkt hatte, war sie für die Mode für immer verloren. Vor einem Monat erhielt sie von einer großen Londoner Sicherheitsagentur mit dem bizarren Namen Mi2g einen Haufen Geld für etwas, was sie als Conditional Access System bezeichnete und das Computer vor einer neuen Variante des Wurms Slammer schützte. Für mich waren das böhmische Dörfer, für CyberNel das tägliche Brot. Nel erhielt keinen zusätzlichen Glanz durch das Geld – obwohl das ja nie zu verachten war –, sondern weil sie in der Lage war, es zu verdienen. Nel hatte mir erklärt, dass der jährliche wirtschaftliche Schaden durch digitale Angriffe von Cyberterroristen und Hackern auf den weichen Unterleib der Breitbandnetze und drahtlosen Highspeednetzwerke in die 100 Milliarden geht, und sie versicherte mir, das Schlimmste stehe noch
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