Rosa
weh. Die Chancen standen gut, dass niemand den Schuss gehört hatte. Die Nachbarn oben waren arbeiten, der alte Mann unten halb taub.
Cor bückte sich zu seinem Schuh. »Ein guter Rat für den Knast: Hüte dich vor den Aufsehern, das sind alles Ratten.«
»Dafür würde mich kein Richter verurteilen.«
Er hatte die Schuhe wieder an und nahm sein Jackett. »Das wird dir noch leid tun«, sagte er.
Sie zielte auf sein Gesicht. »Meinen Schlüssel.«
Cor griff in die Tasche, warf ihr den Schlüssel vor die Füße und grinste. »Die Tür muss noch erfunden werden, für die ich einen Schlüssel brauche.«
»Hau ab.«
Er nickte, drehte sich um, betrachtete kopfschüttelnd das Einschussloch und öffnete die Tür. »Du glaubst doch nicht, dass dein Bruder mich jetzt los ist?«
»Das nächste Mal erschieße ich dich«, sagte sie.
Cor gab einen verächtlichen Laut von sich und verschwand. Sie wartete, bis sie die Haustür hörte. Dann ließ sie sich mit einem Seufzer auf das Sofa fallen und starrte die rosa Wand ihres Wohnzimmers an, die Pistole auf den Knien.
3
Kars saß zwanzig Minuten lang auf einem unbequemen Stuhl im luxuriösen Büro der Sekretärin, die eifrig mit ihrem Computer beschäftigt war, ins Telefon quasselte und hin und wieder mit einem abfälligen Blick seinen verschlissenen Anzug und seine alten Halbschuhe musterte. Das hohe Fenster bot einen Panoramablick auf die Ringstraße, Buitenveldert und den Rest der Niederlande.
Er verfügte über genügend Erfahrung mit luxuriösen Büros, um sich nicht mehr davon beeindrucken zu lassen. Reinders hatte seine Sekretärin garantiert nicht wegen ihres Hühnerhirns und ihrer sorgfältig blondierten Haare ausgewählt, und auch nicht wegen ihrer platten Redeweise, die sich all diese Mädels durch die völlig sinnentleerten Talkshows im Privatfernsehen angewöhnten.
»Meneer Reinders kann nicht länger wie fünf Minuten Zeit freimachen«, sagte sie, als die zwanzig Minuten verstrichen waren. Zeit freimachen.
»Nicht länger als«, verbesserte Kars. »Sie können sich das mithilfe einer Eselsbrücke merken.«
»Einer was?«, fragte sie.
»Als ist anders, wie bleibt wie zuvor. Mehr als. Kleiner als. Genauso groß wie das, was du unter der Bluse hast. Und niemand kann Zeit freimachen.«
»Meneer Reinders schon«, erwiderte die Sekretärin. »Und außerdem ist jetzt schon gut eine Minute rum.«
Kars ging zur Eichentür, setzte sein fröhliches Gesicht auf und spazierte in das Direktionsbüro. »Morgen, Hugo!«, sagte er jovial. »Ich habe gute Nachrichten für dich.«
Er watete mit ausgestreckter Hand durch den Teppich und machte vor dem Schreibtisch Halt. Reinders blieb sitzen und ignorierte seine Hand. »Das Gleiche gilt für mich«, sagte er.
Sein Tonfall gefiel Kars nicht. Er wusste nicht, ob er sich setzen sollte, also blieb er stehen. »Ich weiß, dass du viel zu tun hast, und wollte dich eigentlich heute nicht belästigen«, sagte er. »Aber unten hat man mir gesagt, dass du mich erst noch einmal sehen wolltest, bevor mir mein Honorar ausbezahlt würde.«
»Stimmt.«
Kars setzte sich unaufgefordert hin. »Und?«
Reinders seufzte, zog eine Schublade auf und holte eine dünne Mappe heraus. »Du hattest versprochen, einen exklusiven Medienkurs für uns auf die Beine zu stellen.«
»Ich arbeite Tag und Nacht daran.«
Reinders nickte. Mit einem seiner Wurstfinger klappte er die Mappe auf. »Das hat uns bis jetzt gut zehntausend Euro gekostet, und alles, was ich nach vier Monaten zu sehen bekomme, sind zwei Blätter mit Ideen, die meine Sekretärin aus den Broschüren jeder beliebigen Medienschule abtippen könnte, während sie auf dem Kopf steht und dabei Plinius den Jüngeren liest.«
Kars zuckte mit den Schultern. »Das mit Plinius dem Jüngeren bezweifle ich.«
Reinders war ein beleibter Mann in den Fünfzigern mit dicken Doppelkinnen, die auf und ab wogten, wenn er sein schallendes Lachen ertönen ließ. Diesmal lächelte er jedoch nicht einmal, sondern schaute Kars nur abwartend an.
»Tja«, sagte Kars. »Die Grundprinzipien sind nun mal überall dieselben. Darum geht es auch gar nicht. Es geht um die Namen …«
»Ich sehe nur wenige Namen.«
»Du verlangst Niveau und Exklusivität. Das kostet Zeit und Mühe. Und ein bisschen Geld, schließlich kann ich mit Leuten wie Stephane Rothenberg und Anne Sinclair schlecht bei McDonald’s essen gehen.«
»Anne Sinclair klingt ziemlich passé.«
»Aber sie ist wieder da, wie sie leibt und
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